"Hallo Leute, ich befinde mich momentan in einer Sinn-Krise, vielleicht kann man das auch als frühzeitige Mid-Life-Crisis beschreiben. Ich stehe vor Abschluss meines Masters in BWL."
Also an einem Zeitpunkt, an dem Du das Leben in einer Berufstätigkeit mit all seinen schönen und schwerigen Seiten, seinen Herausforderungen, seinen Erfolgen, seinen Vor- und Nachteilen und seinen Perspektiven noch gar nicht kennen gelernt hast.
Wenn ich an meine eigene Situation zu diesem Zeitpunkt zurückdenke, dann verspürte ich damals Aufbruchsstimmung für den Berufseinstieg (hatte aber bis zum Diplomerhalt noch gar keinen Job), ein wenig Angst vor der Veränderung aus dem Studentenleben heraus, Vorfreude auf die finanzielle Perspektive eines eigenen Gehalts und vor allem Neugier auf die ersten Berufsjahre. Den Sinn meiner Motivation habe ich zu dieser Zeit nicht hinterfragt, mir war aber damals schon ein Beruf mit Sinn und Inhalt wichtig.
"All die Jahre war ich darauf programmiert, Karriere zu machen. Für mich ist das irgendwie immer selbstverständlich gewesen, nur vielleicht war ich auch zu naiv, um zu begreifen, was für Opfer man für eine Karriere wirklich erbringen muss."
Wer hat dich darauf programmiert? Was für eine "Karriere" hattest Du dir vorgestellt? Und woher kommt (ohne jemals berufstätig gewesen zu sein) die Erkenntnis, welche "Opfer" man angeblich bringen muss?
"Man bezahlt immer mit Lebenszeit und mit der Gesundheit, das kann mir keiner vorenthalten."
Kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil. Mit jedem Anwachsen der beruflichen Verantwortung ist bei mir vor allem der Spaß an der Arbeit angestiegen. Mehr als 35 Stunden habe ich schon zum Berufseinstieg gearbeitet. Mein Arbeitspensum liegt heute etwa ähnlich dem in den ersten Berufsjahren. Angestiegen ist die Reisezeit und angestiegen ist die subjektive Agilität des Alltags durch die Führung von Mitarbeitern. Und mein Stundenlohn ist angestiegen, klar.
"Was sind eure Motive? Macht ihr das wirklich für euch? Oder macht ihr Karriere für andere? Erhofft ihr euch davon besser bei Frauen anzukommen? Oder macht ihr das für eure Familie? Für Frau und Kinder? Aber dann lebt ihr nur für andere, nicht für euch selbst."
In den ersten Berufsjahren wusste ich gar nicht, was eine Karriere ist und wie man das macht. Damals war ich "karrieregetrieben", weil ich mir davon genau die Dinge versprochen habe, die inzwischen eingetreten sind. Mehr Spaß, mehr Geld, Abwechslung. Unterschätzt hatte ich die erforderliche Intensität des persönlichen Lernens nach dem Studium. Inzwischen sind meine beruflichen Ziele weniger aufstiegsorientiert, sondern eher einfluss- und letztendlich auch spaßorientiert. Ich will was bewegen und dabei Freude empfinden. Glücklicherweise gibt's dafür meistens auch mehr Geld.
"Sucht ihr Anerkennung und Ansehen?"
Wenn Du erfolgreich bist, bekommst Du beides und es gibt Tage, an denen das das einzige ist, was Du bekommst. Insofern ist es nicht verkehrt, wenn einen das motiviert. Es gibt aber auch Wochen, in denen Du beides nicht bekommst.
"Aber wer ist schon mal zu euch gekommen und hat euch auf die Schulter geklopft, wie toll ihr mit eurer Karriere seid?"
Ich brauche das nicht, ich kann mir selbst auf die Schulter klopfen. Vieles von dem, was Du tust, tust Du für Deinen Arbeitgeber und für Deine Mitarbeiter. Wenn die Erkenntnis, dass das per se gute Motive sind, nicht ausreicht, dann mache keine Karriere. Je weiter Du aufsteigst, desto weniger Leute klopfen Dir auf die Schulter.
"Meint ihr, durch besonders Harte Arbeit entwickelt ihr euch weiter?"
Ohne harte Arbeit entwickelst Du dich auch nicht weiter.
Mein Vorschlag für Dich wäre, mal 5-10 Jahre zu arbeiten und das alles dann nochmal anzusprechen. Dass sich inzwischen schon Studenten die Sinnfrage stellen, ist wirklich eine erschreckende Entwicklung. Ich empfehle dringend die Lektüre der Geschichte "Why Generation Y Yuppies Are Unhappy". Treffender kann man das nicht beschreiben.
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