Ich denke der TE hat inzwischen einen ganz guten Eindruck, welche Positionen man einnehmen. Ich versuche mal zusammenzufassen:
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Durchschnittsgehälter rein nach Qualifikation: Mediziner > BWL > PoWi/SoWi > GeWi
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BWL / PoWi / SoWi / GeWi: Erfolg im Berufsleben (von links nach rechts zunehmend) abhängig von beruflichen Leistungen und Zusatzqualifikationen
- SoWi / PoWi / GeWi ≠ Taxifahren / Arbeitslos
Die Schwierigkeit der Entscheidung begründet sich auf drei Unsicherheiten, mit denen man als junger Mensch ohne viel Berufs-/Lebenserfahrung konfrontiert ist:
- Es fällt schwer das eigene Sicherheitsbedürfnis / Risikoprofil richtig einzuschätzen
- Manchen fällt es schwer zukünftige Lebensphasen einzukalkulieren
- Es fällt schwer mögliche berufliche Tätigkeiten / teilweise profanen Arbeitsalltag richtig einzuschätzen
Es ist ein bisschen lustig zu sehen, dass jeder hier offenbar retrospektiv seine eigenen Studienentscheidungen als richtig betrachtet. Eigentlich doch ein gutes Zeichen, dass es bedeutet, dass es letztendlich viele Wege zum Glück gibt. Die BWL-Absolvent:innen fühlen sich auf der Gewinnerseite, weil sie mehr Geld verdienen (im Durchschnitt). Und die PoWi/SoWi/GeWi-Absolvent:innen fühlen sich auf der Gewinnerseite, weil sie wissen, dass sie beruflich einen individuellen Weg gewählt haben und sie sich eine inhaltlich anspruchsvolle Aufgabe gesucht haben, hinter der sie inhaltlich stehen.
Es ist auch interessant, dass offenbar wenige der vielen BWL-Absolvent:innen hier persönlichen Kontakt zu PoWi/SoWi/GeWi-Absolvent:innen zu haben scheinen. Anders kann ich mir die stereotype Vorstellung vom weltfremden/naiven PoWi/SoWi/GeWi-Absolvent:innen nicht erklären. In meinem persönlichen Bekanntenkreis fallen mir sofort viele erfolgreiche PoWi/SoWi/GeWi-Absolvent:innen ein:
- PoWi-Absolvent: War erst 15 Jahre im IB und ist jetzt Partner bei Deloitte
- Philosophie-Absolventin: Einstieg im ÖD in der Technikfolgeabschätzung und jetzt Produktmanagerin für Big Data / Cloud Services
- PoWi-Absolvent: Erst Beratung im Bereich Emerging Markets für Banken, jetzt Spezialist für Compliance Operations in Banking und IT
- SoWi-Absolvent: Erst Spezialist für internationale Rollouts von Qualifizierungsmaßnahmen in einem DAX-Konzern, jetzt EM für Transformationsprozesse bei einer UB
- Enthnologie-Absolventin: Team Lead für User Research bei einem Tech-Konzern
- Kommunikationswissenschaft-Absolventin (mit quantitativer Spezialisierung): Data Scientist für DAX-Konzern
Natürlich ist das anekdotisches Wissen und nicht repräsentativ. Es gibt sicher auch die Recruiter:innen mit BA in Psychologie oder Germanistik, bei denen ich auch immer hoffe, dass sie das nicht länger als 2 Jahre machen um Ihren Master zu finanzieren. Und ich kenne persönlich auch einen einzelnen Fall, wo nach dem Magister gar nichts ging und er im Telefoncenter hängengeblieben ist. Aber da war das Problem nicht bloß die Qualifikation, sondern auch psychische Krankheiten und dadurch wenig zielgerichtetes Handeln. Solche Fälle gibt es leider qualifikationsunabhängig. Aber den Taxifahrer mit Hochschulqualifikation aus der philosophischen Fakultät habe ich persönlich nie kennengelernt. Wie eingangs schon schematisch dargestellt: Beruflicher Erfolg als Geisteswissenschaftler ist vorraussetzungsreicher als mit medizinischem Staatsexam und das muss man sich klar machen, diese Voraussetzungen sollte man sich schon während des Studiums klar machen. Wenn man das tut und sich entsprechend auf den Berufseinstieg vorbereitet, hat man nichts zu befürchten. Dass es unwahrscheinlich ist, mit Philosophieabschluss zum zweiten Reid Hoffman oder Mathias Döpfner zu werden, brauchen wir hier nicht diskutieren. Auch als BWL-Absolvent:in ist die Wahrscheinlichkeit gering bis in den Vorstand aufzusteigen.
Aber mein Eindruck ist, dass hier im Forum auch der Tellerrand auch etwas begrenzt ist. PoWi/SoWi/GeWi-Absolvent:innen per se als Minderperformer, Qualifikationslose oder schlicht Idioten zu betrachten, führt an der Realität genauso vorbei, wie die stereotype Vorstellung von BWLern als kleingeistige Materialisten, die ihren Selbstwert nur durch Statussymbole stabilisieren können.
Ich freue mich, dass hier trotz überwiegender BWL-Grundgesamtheit einige alternative Stimmen zu Wort gekommen sind und hoffe dass der TE dadurch ein paar Impulse bekommen hat. Wie bereits gesagt: Mit einem 1,5er Abi und dem nötigen Realitätssinn, den ich jetzt mal unterstellen möchte, muss man sich eigentlich keine Sorgen machen über seine Zukunft, egal welches Studienfach.
WiWi Gast schrieb am 01.07.2022:
Linkedin ist da nicht so repräsentativ. Statistiken über die Arbeitsverhältnisse sagen da etwas deutlich anderes als du. Nach diesen Angaben zu gehen ist also sicherlich nicht emotional. Viele dieser Geisteswissenschaftler machen eigentlich Jobs, für die kein bestimmtes Anforderungsniveau vorliegt wie z.B. Recruiter. Mit Karriere hat das wenig zu tun.
WiWi Gast schrieb am 30.06.2022:
Danke für die unterschiedlichen Standpunkte. Ich stehe genau so zwischen den Stühlen wie hier in der Diskussion. Meine Leidenschaft liegt bei einem GeWi Fach. Allerdings ist der Arbeitsmarkt dafür bekanntermaßen wenig attraktiv. Die einzige Möglichkeit nach dem Studium wäre die Forschung, ein fachnahes Institut oder ein fachfremder Bereich. MINT ist absolut null mein Fall, dafür fehlt mir auch das Talent. In der Schule war es okay aber mehr auch nicht. Bundeswehr finde ich auch nicht uninteressant. Die Auswahl ist dementsprechend relativ groß, aber meine Bedenken eben auch. :/
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