Anonyme Bewerbungen ohne Foto
Baden-Württemberg hat bei elf Arbeitgebern anonyme Bewerbungen getestet. Sowohl Personalverantwortliche als auch Bewerber sehen anonymisierte Bewerbungsverfahren als Weg zu mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Zu diesem Ergebnis kommt das Modellprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ des Ministeriums für Integration, bei dem knapp 1.000 Bewerbungen anonymisiert eingesehen wurden.
Zusammenfassung Befragungsergebnisse Personalverantwortliche:
- Mehr als 60 Prozent der Personalverantwortlichen sind der Meinung, dass personenbezogene Informationen von Bewerbenden im herkömmlichen nichtanonymisierten Verfahren mindestens etwas Einfluss auf die Personalauswahl haben.
- Der Fokus auf die Qualifikationen, die in der ersten Auswahl relevant für die Personalverantwortlichen sind, kann mit dem anonymisierten Bewerbungsformular erreicht werden und somit eine objektivere Auswahl ermöglichen.
- Die Personalverantwortlichen haben durch den Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars eine erhöhte durchschnittliche Qualität der eingehenden Bewerbungen festgestellt. Gleichzeitig wurde ein tendenzieller Rückgang der Bewerberanzahl beobachtet. Dieser ist vermutlich in dem Wegfall nicht ernsthaft interessierter oder nicht passender Bewerbender begründet ist.
- Die befragten Personalverantwortlichen sind sich einig darüber, dass durch die Anonymisierung erhöhte Rechtssicherheit in Bezug auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz entsteht.
- Beim ersten Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars, also bei der Einführung des neuen Bewerbungssystems, muss mit einem zeitlichen Mehraufwand gerechnet werden. Gleichzeitig kann (und sollte) man die Anzahl (und Art) der Fragen im Formular optimieren: Das Formular sollte nicht überfrachtet werden und kann das Bewerbungsgespräch nicht ersetzen.
- Insbesondere diejenigen Personalverantwortlichen, die personenbezogene Merkmale als einflussreich im herkömmlichen Verfahren empfinden, unterstützen das anonymisierte Verfahren und empfinden auch den durchschnittlichen erforderlichen Zeitaufwand als geringer.
- Der Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars erscheint insbesondere bei Stellen für mittel- und hochqualifizierte Bewerbende sinnvoll, die keine Probleme mit der Computerhandhabung haben und möglicherweise weniger Fehler beim Ausfüllen des Formulars machen, indem sie ihre Identität durch z.B. nichtgeschlechtsneutrale Formulierung verraten.
Zusammenfassung Befragungsergebnisse Bewerbende:
- 80 Prozent aller Befragten sind der Meinung, dass die Bewerberauswahl durch anonymisierte Bewerbungen objektiver wird.
- Die Hälfte der Befragten hat sich schon einmal im Bewerbungsprozess diskriminiert gefühlt. Das Alter war mit 46 Prozent das meistgenannte Diskriminierungsmerkmal.
- Die Bewerbenden mit eigener Diskriminierungserfahrung haben eine klare persönliche Präferenz für das anonymisierte Bewerbungsverfahren.
- Eine Mehrheit ist der Meinung, dass durch das anonymisierte Bewerbungsformular ein Mehraufwand entsteht, der hauptsächlich in der Beantwortung der teils sehr ähnlichen Fragen im Formular und der geschlechtsneutralen Formulierung besteht.
- 92 Prozent der Bewerbenden würden aufgrund des Mehraufwandes nicht vor einer Bewerbung auf eine Stelle zurückschrecken, die sie ernsthaft interessiert.
Hintergrundinformationen
Teilnehmende Arbeitgeber:
- Alois Reutlinger Steuerberatungsgesellschaft mbH, Rosenfeld
- Bürkle + Schöck Transformatoren GmbH, Stuttgart
- Ingenieurkammer Baden-Württemberg
- Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
- Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg
- Ministerium für Integration Baden-Württemberg
- Robert Bosch GmbH, Murrhardt
- Strohecker und Weinbrecht GmbH & Co. KG, Niefern-Öschelbronn
- Stadt Karlsruhe
- Stadt Mannheim
- Vogel & Vogel Steuerberater, Köngen
Umfang des Modellprojektes
- 981 Bewerbungen
- 354 Einladungen zu Bewerbungsgespräch oder Eignungstest
- 67 Personen erhielten ein Jobangebot bzw. Ausbildungsplatzangebot
Weitere Studien zum Thema
- Krause, Annabelle, Ulf Rinne and Klaus F. Zimmermann (2012): Anonymous Job Applications in Europe, IZA Journal of European Labor Studies 1, Article 5, 1-20.
- Rinne, Ulf (2014): Anonymous job applications and hiring discrimination, in: IZA World of Labor, Article 48.