Ja, das hört sich sehr nach Theoriedenken und nicht nach Praxiserfahrung mit Maklern und privaten Immobilienverkäufern an. Mal ein Beispiel-Case zum Denken von Verkäufern basierend auf eigener Erfahrung im vergangenen Jahr:
Umland westdeutscher Großstadt mit Neubaugebiet aus ~2000, Bodenrichtwert 180€/qm, realistischer (Ver-)Mietpreis wäre ~10€/qm
-
März 2021: Besichtigung Haus 1
Fakten: ~600qm Grundstück, ~125qm Haus, 480k€ Verkaufspreis
Alles war in einem wirklich einfachen Standard, Grundriss im OG extrem unpraktisch (keine geraden Wände), Bäder beide extrem hässlich und damit sanierungswürdig, Heizung >20 Jahre alt. Da man in das Haus aus unserer Sicht in Summe ~100k€ hätte investieren müssen, war es für uns deutlich zu teuer (580k€ / 15k€ Mieteinnahmen = ~39er Multiple). Wir haben etwas über 400k€ angeboten, aber schon gedacht, dass das nichts wird. O-Ton der bereits bei der Besichtigung sehr unsympathischen Verkäufer: "Haben schon einige Angebote in der Nähe unserer Vorstellung"
- August 2021: Besichtigung Haus 2 (schräg gegenüber 3 Häuser weiter)
Fakten: ~680qm Grundstück, ~230qm Haus, 749k€ Verkaufspreis
Haus war mit Giebeln und Erkern sowie Garage schon deutlich hochwertiger, außerdem hatte es einen sehr schön angelegten Garten. Leider war innen die Raumaufteilung extrem unpraktisch (war als 2-Familienhaus inkl. (Schwieger-)Eltern angelegt und in beiden Ebenen war der Grundriss für ein EFH echt suboptimal mit deutlich zu kleinen oder zu großen Räumen), ansonsten war das Haus aber im Preis-Leistungs-Verhältnis tendenziell attraktiver.
Der Verkäufer hat zu uns während der Besichtigung im O-Ton gesagt: "Mein Nachbar von schräg gegenüber hat sein kleines Haus für 480k€ verkauft und der hat sogar eine kaputte Heizung", daher war für ihn klar, dass sein Haus mindestens 700k€, eher 750+k€ Wert sein muss. Das ist aber bei uns in der Region die Preisregion, wo die Anzahl an Interessenten deutlich abnimmt.
- Januar-März 2022 (letztes Veröffentlichungsdatum 02. März 2022): Haus 2 steht via Makler für 725k€ Verkaufspreis immer wieder in den Portalen drin. Abzgl. Maklergebühr also inzwischen nur noch etwas über 700k€ geplanter Verkaufserlös für die Verkäufer.
Aktuell ist die Anzeige nicht mehr zu sehen. Eventuell haben die Verkäufer inzwischen einen Käufer gefunden, der irgendwo im Bereich 700-725k€ gezahlt hat. Eventuell geht sie auch bald nochmal zu einem niedrigeren Preis herunter.
Glaubt hier irgendjemand wirklich, dass der Verkäufer von Haus 2 sich persönlich für die Zinsentwicklung interessiert? Der sieht nur "viel schlechteres Haus hat 480k€ gebracht", dem ist aber erst einmal egal, dass inzwischen sein Haus aufgrund der Zinssituation "eigentlich" nur noch 625k€ statt 725k€ Wert wäre. Eine weitere Preisreduktion kommt hier doch nur, wenn er wirklich niemanden gefunden hat. Wahrscheinlich ist er sich nach den 7 Monaten Verkaufszeit mit einem der Interessenten noch irgendwie einig geworden. Falls nicht, dann sind bald 9 Monate vergangen seit dem Ursprungsangebot und der Verkäufer braucht bzgl. eines Preises von 650k€ oder weniger sicherlich weitere Bedenkzeit - schließlich war das schlechtere Haus doch fast genauso teuer ;)
WiWi Gast schrieb am 26.04.2022:
Nur teilweise richtig und absolut falsch es mit dem Aktienmarkt zu vergleichen.
Jemand der im März sein Haus zum Verkauf angeboten hat und keinen Käufer findet, weil die Zinsen gestiegen sind, wird nicht sofort seinen Preis runter setzen. Das geht langsam über Wochen und Monate hinweg. Immobiliengeschäfte sind eben kein Tagesgeschäft. Es gibt außerdem garantierte Zinsen noch für ein paar Wochen für Leute, die sich vor der Zinserhöhung einen Kredit haben zusichern lassen von Banken. Das Angebot läuft manchmal bis zu 8 Wochen von den Banken.
Das muss jeder aktuell einkalkulieren und das spiegelt sich sofort in den Preisen wider.
antworten