Ich arbeite in der Autoindustrie und kenne mich relativ gut in der Produktentwicklung/-entstehung aus, habe auch schon selbst an kleinen Projektbausteinen eines neuen Fahrzeugs mitgearbeitet.
Allem voran steht ein strategischer Bereich, der den Bedarf für ein neues Fahrzeug definiert (z.B. "wir möchten ein Sportcoupé mit zwei Sitzen bauen, welches mit 6-Zylinder-Motoren ausgerüstet wird und auf den großen Märkten der Welt zu einem Preis von 60.000 Euro einen Absatz von 15.000 Stück pro Jahr erreicht..."). Das ganze wird mit den Investitionsbedarfen, der Produktionskapazität etc. verglichen und bezüglich Rentabilität bewertet. Diese Fallstudie wird dann dem Vorstand vorgestellt, der über "Go" oder "No go" entscheidet. Im Fall von "Go" wird ein Projektleitungskreis definiert, der das Projekt aus der Strategiephase übernimmt.
Dieses Gremium besteht aus Vertretern verschiedener Fachbereiche (Vertrieb, Produktion, Entwicklung etc.) und begleitet ein Fahrzeugprojekt vom seiner allerersten Konzept bis zum Produktionshochlauf. Auf diesem Weg, der je nach Fahrzeugtyp zwischen 5 und 10 Jahren dauern kann, trifft das Gremium einvernehmlich alle relevanten Entscheidungen, die von entsprechenden Arbeitskreisen dem Gremium vorgestellt werden (z.B. könnte es sein, dass im Laufe des Projekts auf einen 4Zylinder umgestellt wird, wenn sich bestimmte Rahmenbedingungen ändern). In regelmäßigem Abstand segnet der Vorstand den Projektfortschritt bei großen Projekten ab (oder auch nicht).
Das eigentliche Design spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Es wird irgendwann von der Designabteilung festgelegt und minimal an den Projektfortschritt angepasst. Es ist aber keineswegs so, dass den ganzen Tag kreative Köpfe um ein Holzmodell herumstehen und Windkanallinien in die Luft zeichnen. Das machen die Experten im Designbereich, viele andere Mitarbeiter der Firma haben damit kaum etwas zu tun, weil sie an ihrer Teilaufgabe arbeiten (z.B. der Integration eines bestimmten Verbrauchers ins Bordnetz).
Machen wir uns nichts vor: Berufseinsteiger wirst Du im Leitungskreis nicht finden. Es sind gestandene Manager mit 10-20 Jahren Berufs- und Unternehmenserfahrung, denn sie müssen schwierige Entscheidungen treffen und die Konsequenzen aus den Entscheidungen in ihre Fachabteilungen kommunizieren.
Hinter diesem Prozess sitzen aber relativ große Abteilungen, die den Leitungskreis in ihren Entscheidungen unterstützen, indem sie z.B. die Wirtschaftlichkeit nachrechnen oder bestimmte Einzelfallentscheidungen aufbereiten und die Alternativen auf den Punkt bringen.
Entgegen den hier geäußerten Meinungen sind diese Kollegen und auch die Mitglieder der Lenkungskreis keineswegs allesamt Ingenieure. Ein guter Kaufmann mit Sachverstand, Kommunikationsfähigkeit und v.a. logischem Denken und einer strukturierten Arbeitsweise kann durchaus einen großen Mehrwert in einem Projektleitungsbereich bringen.
Und ein Automobilunternehmen besteht nicht nur aus großen Projekten. Es gibt auch viele kleine Projekte, die von einem kleinen Lenkungskreis gesteuert werden, dessen Mitglieder relativ unabhängig jeweils einen Fachbereich vertreten. Dies könnte z.B. die Einführung eines neuen Materials im Kabelbaum, die Erprobung einer neuen Software für die Getriebesteuerung, der Aufbau eines Vertriebsnetzes in einem neuen Absatzmarkt oder die Einführung einer neuen Lehr- und Lernmethode im Produktionsbereich sein. Der Vorteil an diesen kleinen Projekten ist, dass man auch als junger Mensch noch relativ unabhängig entscheiden kann und bei einer Fehlentscheidung nicht gleich den Fortbestand des Unternehmens aufs Spiel setzt.
Ich persönlich würde allerdings empfehlen, diese Projektleitungsfunktion nicht gleich zum Hauptberuf zu machen. Man ist langfristig erfolgreicher, wenn man seine Fachkompetenz in einem bestimmten Bereich unter Beweis stellt und erst im nächsten Schritt in eine Projektaufgabe wechselt. In der Projektleitung benötigt man nämlich einiges an Gespür für den Konzern und die Auswirkungen bestimmter Entscheidungen, um sich nicht die Füße zu verbrennen. Wer völlig ohne Ahnung Projekte leitet, macht sich aufgrund unsinniger Entscheidungen sehr schnell unbeliebt und findet nach dem Abschluss des Projekts keine attratktive Anschlussaufgabe.
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