WiWi Gast schrieb am 29.09.2023:
Wäre cool, wenn jemand mal sachlich die Unterschiede hinsichtlich Umfang und Anspruch aufzeigen könnte. Danke.
Hallo! Ich habe die aktuellen Prüfungsordnungen bzw. RVO zu beiden Abschlüssen ausführlich ausgewertet.
Das sind die wesentlichen Unterschiede:
- Der Geprüfte Bilanzbuchhalter, Bachelor professional in Bilanzbuchhaltung - mit Einstufung auf Niveau 6 (max: 7) im DQR (Deutscher Qualitäts-Rahmenplan) und EQR (Europäischer ...)- besteht aus drei 4-stündigen schriftlichen Prüfungen (12 Stunden insgesamt) und einer 45-minütigen mündlichen Prüfung (Präsentation: 15 Minuten, Fachgespräch: 30 Minuten pro Prüfling).
Die schriftlichen Prüfungen sind in der Regel auf einen Zeitraum von knapp über einer Woche verteilt, sodass man zwischen den Prüfungen in der Regel 1-3 Tage "Verschnaufspause" hat.
Um zur mündlichen Prüfung (Gewichtung der Gesamtnote: 50 %, wie z.B. beim Steuerberater) zugelassen zu werden ist es erforderlich jede der drei schriftlichen Prüfungen überhaupt mit mindestens 50 % (ausreichend) der Gesamtpunkte von 100 zu bestehen.
Die Präsentation macht 1/3 der Note fürs Mündliche aus, das Fachgespräch 2/3.
Insgesamt muss der Schnitt aus Schriftlichem und Mündlichen mindestens 50 % sein.
Wer nur bei der mündlichen Prüfung durchfällt, kann die Noten der schriftlichen Prüfung auf Antrag für den nächsten Versuch stehenlassen ohne neu schreiben zu müssen. 2 Wiederholungsversuche jeweils.
- Der Steuerfachwirt - bis heute ohne DQR/EQR-Einstufung - besteht aus vier schriftlichen Prüfungen (2x Steuerrecht à 4 Stunden, 1x Bilanz - irrigerweise als "Rechnungswesen" bezeichnet - à 3 Stunden, 1x "Betriebswirtschaftslehre" (Jahresabschlussanalyse, Finanzierung, Kosten- und Leistungsrechnung) à 2 Stunden. Somit insgesamt 13 Stunden.
Die schriftlichen Prüfungen finden aktuell noch - wie beim Steuerberater - an drei aufeinander folgenden Tagen statt.
Die mündliche Prüfung besteht aus einem Vortrag (5 Minuten, 2 Themen zur Auswahl mit 10 Minuten Vorbereitungszeit) und einem Fachgespräch mit 25 Minuten pro Prüfling.
Um zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden, muss der Notenschnitt mindestens 50 % sein, wobei maximal eine nicht ausreichende Leistung (< 50 %) möglich ist. Wer eine der Klausuren aber mit ungenügend (< 25 % der Punkte) geschrieben hat, ist durchgefallen.
Wer durchfällt, muss auf jeden Fall nochmal alle Klausuren schreiben. 2 Wiederholungsversuche.
Die Gewichtung der schriftlichen Prüfung für die Gesamtnote ist wie folgt:
Steuerrecht I (USt, AO, ErbSt/BewG) und II (ESt, KSt, GewSt): je 25 %
Bilanz ("Rechnungswesen") 20 %
Betriebswirtschaftslehre (Jahresabschlussanalyse, Finanzierung, Kosten- und Leistungsrechnung): 10 %
Die Gewichtung der mündlichen Prüfung mit nur 20 % der Gesamtnote ist beim Steuerfachwirt recht gering.
Zum Umfang der Prüfungen und der Schwierigkeit:
Zunächst: Bei beiden Prüfungen sind die erzielbaren Punkte bei jeder Aufgabe angegeben.
- Beim Steuerfachwirt werden im Rahmen der zwei-stündigen Betriebswirtschafts-Klausur (10 % der Gesamtnote) die Themen Jahresabschlussanalyse, Finanzierung und Kosten- und Leistungsrechnung nur in sehr geringem Umfang abgefragt, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Früher gab es stattdessen den Bereich "Gesellschaftsrecht", der mit lediglich 10 % der Punkte der Bilanzklausur ebenfalls geringe Bedeutung hatte. Früher wurde eines der drei Themen oft weggelassen, sodass nur zwei von drei Themen abgefragt worden sind.
Formeln müssen auswendig beherrscht werden, es wird keine Formelsammlung gestellt. Dafür ist die Schwierigkeit eher gering, es wird eher die Breite abgefragt. Oft wurden z.B. Definitionen abgefragt.
- Anders beim Geprüften Bilanzbuchhalter: Dort ist allein Jahresabschlussanalyse 50 % der Gesamtpunkte der zweiten 4-stündigen Klausur sowie ca. 38 % Finanzierung. Und Kosten- und Leistungsrechnung sind ca. 38 % der dritten 4-stündigen Klausur. Definitionen werden eher selten abgefragt. Oft muss das berechnete Ergebnis noch erläutert und/oder eingeordnet werden.
Es wird eine Formelsammlung gestellt. Tieferes Systemverständnis und das Durchexerzieren einer Vielzahl von unterschiedlichen Aufgabenstellungen ist zum Bestehen wegen der hohen Bepunktung unbedingt erforderlich.
- Bilanzierung (beim Steuerfachwirt irrigerweise „Rechnungswesen“ genannt) ist beim Geprüften Bilanzbuchhalter ca. 75 % der ersten 4-stündigen Klausur, entspricht damit rein vom zeitlichen Umfang der 3-stündigen Bilanz-Klausur beim Steuerfachwirt. Die IHK-Aufgabenstellungen beim Bilanzbuchhalter sind recht anspruchsvoll, enthalten oft nicht relevante Angaben in einem langen Text und es werden umfangreiche Kenntnisse des Handels- und Steuerrechts vorausgesetzt um hier erfolgreich zu punkten.
- Beim Steuerfachwirt sind die Sachverhalte vom textlichen Umfang kompakter und es werden relativ häufig bekannte Standard-Themen abgefragt, d.h. die Schwierigkeit ist im Vergleich zum Bilanzbuchhalter auffallend geringer. Trotzdem muss man auch hier Handels- und Steuerrecht für eine gute Note beherrschen!
- Der Fokus liegt beim Steuerfachwirt eindeutig auf den beiden Steuerrechtsklausuren. Nach der aktuellen RVO entsprechen die Themen der Klausuren Steuerrecht I und II – bis auf zusätzlichen Stoff – denen des Steuerberaterexamens in abgespeckter Schwierigkeit und Umfang.
Steuerrecht I: USt (ca. 50 %), AO (ca. 25 %), ErbSt/BewG (ca. 25 %)
Steuerrecht II: ESt (ca. 50 %), KSt (ca. 25 %), GewSt (ca. 25 %)
Steuerrecht vereinnahmt vom zeitlichen Umfang der schriftlichen Prüfungen beim Steuerfachwirt also 2 x 4 Stunden = 8 Stunden insgesamt.
- Beim Geprüften Bilanzbuchhalter wird das Steuerrecht dagegen in der dritten 4-stündigen Klausur in einem zeitlichen Umfang von „nur“ ca. 150 Minuten abgefragt (der Rest der Klausur ist Kosten- und Leistungsrechnung). Man könnte auf den ersten Blick meinen, dass der steuerliche Teil damit vergleichsweise „leicht“ wäre. Doch obacht:
- Der Bilanzbuchhalter hat zwar ErbSt/BewG nicht zum Prüfungsinhalt, dafür aber alle (!) der oben aufgeführten steuerrechtlichen Themengebiete wie beim Steuerfachwirt und zusätzlich:
- Lohnsteuer
- AStG bzw. Verfahren zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung (idR DBA oder OECD-Musterabkommen)
Es wurde bislang immer Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer abgefragt, allerdings weiß man nie, was von den anderen Rechtsgebieten (ESt, GewSt, AO, LSt, ASt) dran kommt. Zudem sind die IHK-Aufgabenstellungen recht anspruchsvoll und sichere Kenntnisse der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften, steuerliches Einlagenkonto, Einlagenrückgewähr, Gewinnverteilung, Kapitalerhöhung, latente Steuern, §8b KStG, Anrechnungsverfahren und Freistellungsmethode und nicht nur die „Dauerbrenner“ wie vGA und vE.
Seltsamerweise wird beim Steuerfachwirt nach der aktuellen RVO nichts zur Lohnsteuer abgefragt, beim Bilanzbuchhalter ist jedoch damit zu rechnen.
Die Schwierigkeit der steuerrechtlichen Aufgaben ist beim Bilanzbuchhalter nicht zu unterschätzen. Wer bei der mit ca. 32 % bepunkteten Kosten- und Leistungsrechnung (welche allein schon relativ zeitaufwendig ist und ein vertieftes Wissen erfordert) nur einen Bruchteil der Punkte holt, der muss im Steuerrecht relativ sicher sein um in ca. 150 Minuten viele Punkte holen zu können. Erforderlich ist hierfür eine gute Vorbereitung in möglichst allen Themengebieten.
Beim Steuerfachwirt kann in einer Prüfung auch z.B. das komplette einkommensteuerrechtliche Veranlagungsschema mit großer Bepunktung abgefragt werden, welches mit Schema in den Richtlinien und dem „Abklappern“ vieler zu erwartender Probleme im weiteren Bereich (neben der obligatorischen Einkunftsermittlung) der Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen, Kindern usw. relativ gut bewältigt werden kann.
Derartiges ist beim Bilanzbuchhalter leider nicht zu erwarten, hier werden des Öfteren auch die Themen Mitunternehmerschaft, Sonderbetriebsvermögen, Kauf und Verkauf von Geschäftsanteilen, Ergänzungsbilanzen, mithin die Gewinnermittlung bei Personengesellschaften usw. in größerem Umfang abgefragt
Neben USt und KSt werden ESt, GewSt, AO und LSt regelmäßig abgefragt, aber sicher kann man nie sein, welches Stoffgebiet dran kommt. AStG ist zumindest statistisch gesehen am seltensten dabei. Meist sind die Aufgaben (auch mit mehreren Stoffgebieten vermengt und verschachtelt) mit ca. 8 bis 25 Punkten ausgepunktet, sodass nicht vorhandenes Wissen in einem Stoffgebiet schnell zum Nicht-Bestehen der Klausur und damit der gesamten Prüfung führt.
Beim Steuerfachwirt ist es zum Einen möglich, eine Klausur mit weniger als 50 % der Punkte (mangelhaft) noch auszugleichen und zum Anderen sind die Stoffgebiete und deren Benotung von Anfang an mit ziemlicher Sicherheit klar. In den letzten drei Jahrgängen hat man sogar exakt an den obigen Prozentpunkten festgehalten.
Zusammengefasst: Der steuerliche Teil der Prüfung zum Bilanzbuchhalter ist zwar vom zeitlichen Umfang weitaus geringer als beim Steuerfachwirt (ca. 2,5 Stunden vs. 8 Stunden), doch schwebt über dem Bilanzbuchhalter die große Unbekannte, was überhaupt dran kommt. Es gibt lediglich die ziemlich sichere Gewissheit (aber auch nur anhand der bisherigen Klausuren), dass Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer mit irgendwelchen Themen Bestandteil der Klausur sind. Man muss sich daher sehr viel mit Steuerrecht beschäftigen um hier auf jeden Fall zu punkten. Nicht vergessen werden darf, dass die dritte Klausur noch mit ca. 38 % Kosten- und Leistungsrechnung am selben Tag bewerkstelligt werden muss. Allein dieser Prüfungsteil ist im Gegensatz zum Steuerfachwirt relativ zeitintensiv und es gibt eine große Themenauswahl, da die Prüfung hier – im Gegensatz zum Steuerfachwirt – in die Tiefe geht.
Am ersten und zweiten Tag hat der Bilanzbuchhalter noch Punkte in den Fächern Internes Kontrollsystem (ca. 10-12 Punkte am 1. Tag) und Kommunikation, Führung und Zusammenarbeit (jeweils ca. 10-12 Punkte am 1. und 2. Tag) zu holen. Aufgrund der Schwierigkeit der Materie ist das Mitholen dieser Punkte oftmals entscheidend für das Bestehen oder Nicht-Bestehen. Beide Fächer erfordern rechtzeitiges (leider nochmals recht zeitaufwendiges) Auswendiglernen einer Bandbreite von Themengebieten hierzu.
Und dann hat man nach dem Schriftlichen erstmal 50 % der Gesamtnote – wie z.B. beim Steuerberater – und muss danach nochmal Vollgas im Mündlichen geben. Zwar muss man nicht innerhalb von 10 Minuten einen 5-minütigen Vortrag vorbereiten wie beim Steuerfachwirt, jedoch muss man eine Präsentation und angemessene Unterlagen zum Vorführen und fürs Handout für ca. 15 Minuten erarbeiten, vergleichbar etwa mit einer (nicht-technischen) Projektarbeit.
MEn ist der Geprüfte Bilanzbuchhalter nicht nur der nach wie vor wesentlich wertvollere Abschluss auf dem Arbeitsmarkt – sollte beispielsweise das Steuerberater-Examen nicht von Erfolg gekrönt sein, er bleibt auch die schwerer zu bestehende Prüfung.
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