Interview zum Thema Marketing und Politik Teil 1
Aus Anlass der Bundestagswahl sprachen wir mit den Marketing-Experten Thomas Butter, Katharina Srnka und Dion Fuchs. Das Gespräch führte Marcus Ostermann.
Auch wenn der Wahlkampf sich mehr und mehr von Inhalten zu lösen scheint: Geht diese Entwicklung tatsächlich mit einem schwindenden Interesse für politische Inhalte einher, oder geben diese bei der Wahlentscheidung letztlich doch den Ausschlag?
T. Butter: Auch wenn es zu diesem Thema divergierende Einschätzungen gibt, so gehen auch die selbstbewusstesten Politischen Marketer in der Regel von maximal einstelligen prozentualen Änderungen in der Wählergunst durch Politisches Marketing im Wahlkampfzeitraum aus. Diese wenigen Prozent können zwar vielfach wahlentscheidend sein, langfristig werden jedoch reine Kommunikationsmaßnahmen, hinter denen keine entsprechende Politik steht, nicht zum Ziel führen. Dies zeigt sich auch am kurzfristigen Erfolg populistischer Parteien, der meist endet, sobald sie neben ihrer Kommunikationsarbeit Regierungsverantwortung übernehmen müssen.
Größere Wählermassen sollten durch langfristiges (nicht nur zu Wahlkampfzeiten ausgeübtes) PM, das stimmig mit politischen Inhalten ist, kommuniziert werden. Denn PM ist nicht losgelöst von politischen Inhalten zu betrachten. Genausowenig wie im kommerziellen Umfeld Werbung ein schlechtes Produkt auf Dauer pushen kann, gelingt dies im Umfeld der Politik.
K. Srnka: Auch wenn ich dem grundsätzlich beipflichte, denke ich, dass es im politischen Bereich aus Kunden- bzw. Wählersicht nicht immer so eindeutig ist, welches Produkt (im Sinne der von der Partei/dem Politiker erbrachten Leistung) wirklich gut ist. Der Anteil der sogenannten credence qualities ist hier sehr hoch. Der Begriff credence steht hierbei für glauben, vertrauen - der Wähler muss darauf vertrauen, dass die politischen Vertreter der Partei, für die er sich entscheidet, die kommunizierten Ziele tatsächlich auf bestmögliche Weise im Sinne und zum Vorteil der Bürger durchzusetzen versuchen. Hier, meine ich, gibt es unter der Bevölkerung vor allem anlässlich diverser Skandalfälle immer wieder berechtigte Zweifel. In diesem Zusammenhang ist auch die große Bedeutung der Personalisierung im PM zu erklären. Ein Aspekt übrigens, der vielfach sehr kritisch gesehen wird, vom psychologischen Standpunkt gesehen aber ganz logisch ist, denn: Eine Persönlichkeit verspricht Kontinuität im Handeln, und genau das erhofft und erwartet sich ein Wähler, wenn er sich für eine bestimmte Partei entscheidet.
Was die Relevanz politischer Inhalte betrifft, so sind hier demographische Aspekte, vor allem die Bildung, von Relevanz. Auch wenn es nicht die Massen sind, die sich intensiv mit politischen Themen auseinander setzen: Der einzelne Bürger merkt sehr wohl, ob sich der Alltag für sie/ihn besser gestaltet (Arbeitsplatzsicherheit, Kinderbetreuungsmöglichkeiten etc.), und das spielt bei der Wahlentscheidung in Anbetracht schwindender Traditionswähler natürlich eine Rolle.
Problematisch wird es allerdings, wie wir wissen, bei unpopulären, langfristig aber notwendigen Maßnahmen (z.B. Kostenbeteiligung im Gesundheitswesen, Studiengebühren oder Änderungen bei den Pensionsregelungen). Genau hier setzen Wahlkampfmaßnahmen, vor allem der Opposition, ja vielfach an. Hier ist es, im Sinne eines langfristig orientierten POLIT-Marketings wichtig, sich nicht auf kurzfristig ausgerichtete Wahlkampfrhetorik einzulassen und zu hoffen, dass der Wähler schnell vergisst, wenn man erst die Wahlen gewonnen hat. Das mag jetzt sehr theorielastig klingen. Faktum ist, der Konsument formt immer stärker konkrete Erwartungen, wird sich seiner Rolle als Kunde immer mehr bewusst und ist immer mehr bereit, seiner Unzufriedenheit Luft zu machen. Dass dies nicht nur im klassischen Marketing der Fall ist, zeigen die zahlreichen, z.T. massiven Beschwerden von FPÖ-Wählern über die parteieigene Telefon-Hotline nach dem kürzlich erfolgten Rücktritt der österreichischen Vizekanzlerin, Frau Dr. Susanne Riess-Passer.
D. Fuchs: Die Frage, welche Einflussfaktoren in welcher Weise genau den Ausschlag bei der Wahlentscheidung geben, ist aus meiner Sicht aufgrund der hohen Komplexität des Entscheidungsprozesses des Wählers nicht eindeutig zu beantworten. Hier wirken viele kurz- und langfristige, rationale und nicht-rationale, bewusste und unbewusste Einflussfaktoren, die in ihrer Gesamtheit kaum zu erfassen sind. Die abnehmende Bedeutung von Inhalten - also insbesondere parteipolitischen Programmen und Themenstandpunkten - hängt stark mit (den in der vorherigen Frage bereits angeführten) veränderten Rahmenbedingungen des politischen Wettbewerbs zusammen. Dazu zählt insbesondere der weitreichende gesellschaftliche Wandel, in dessen Rahmen sich die traditionellen, einer bestimmten Partei verbundenen sozialen Milieus vielfach aufgelöst haben.
Durch den Rückgang stabiler Parteibindungen sowie die Zunahme von Wählern, die sich der Politik verdrossen abwenden, hat sich das Potenzial an Wechsel-, Nicht- sowie Protestwählern erheblich erhöht. Eine Folge des politischen und gesellschaftlichen Wandels besteht zudem darin, dass sich parteipolitische Inhalte in wesentlichen Bereichen heute vielfach nicht mehr grundlegend unterscheiden und eine Ausrichtung hin zur politischen Mitte zu verzeichnen ist. Parteien stehen deshalb vor der Herausforderung, sich im Wettbewerb nicht genügend über politische Inhalte positionieren bzw. differenzieren zu können. Dies erfordert neue Formen der parteipolitischen Kommunikation, um Wählerpotenziale zu erschließen bzw. auszuschöpfen.
Schließlich ist eine weitere Ursache für die Zurückdrängung von Inhalten in der zentralen Rolle der Massenmedien - insbesondere des Fernsehens - bei der Vermittlung von Politik zu sehen. Massenmediale Darstellungsformate (z.B. die knappe zur Verfügung stehende Zeit) eignen sich weitaus besser für symbolische Politikinszenierungen als für eine Darstellung abstrakter, komplexer politischer Entwürfe und Sachverhalte, die die Aufnahme- und Urteilsfähigkeit der Wähler weit überfordern.
T. Butter: Vielleicht noch ein Punkt dazu: Die oft überhöhten Erwartungen in die Macht des PMs dürften sich unter anderem dadurch ergeben, dass diese Darstellungen es den Medien erlaubt, auch Wahlkämpfe mit in der Wählergunst weit auseinander liegenden Parteien noch als spannend darzustellen. Andererseits liegt es natürlich auch im Interesse der PM-Berater, ihr Licht zumindest nicht unter den Scheffel zu stellen. Gutes PM kann jedoch auf die bestehenden inhaltlichen Stärken politischer Akteure hinweisen und helfen, jene Aspekte zu betonen, die - den demoskopisch erhobenen - Interessenlagen der Bevölkerung entsprechen. Werden jedoch unglaubwürdige, mit dem Akteur unstimmige Inhalte vermittelt, so wirkt PM meist kontraproduktiv, da es das höchste Gut eines Politikers - dessen Glaubwürdigkeit - unterminiert.
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