WiWi Gast schrieb am 10.03.2024:
Schade finde ich es trotzdem, dass ich im Interviewprozess durch mein Abitur teilweise automatische Absagen erhalte, obwohl ich stake rhetorische Fähigkeiten besitze und durch mein Studium auch das passende Wissen u. Durchhaltevermögen für die Beratung
Nein. Hast du nicht. Das Einzige, was du bewiesen hast ist, dass du BWL gut studiert hast, das interessiert aber nur nachrangig. Ich wiederhole mich zwar hier ab und zu im Forum, weil immer wieder Leute daherkommen, die meinen "das Abitur ist doch 20 Jahre her, warum sollte sich jemand dafür interessieren", aber ich wiederhole es einfach auch nochmal:
Das Abitur in der Top-Beratung ist deshalb wichtig, weil ein 1,x Abitur genau eine Sache aussagt: Du hast kein Problem in (relativ) kurzer Zeit verschiedenste Sachverhalte (Mathe, Chemie, Physik, Geschichte, Sprachen, whatever) zu verstehen, aufzusaugen und anzuwenden. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das wird in der Top-Beratung gefordert, speziell in den ersten Jahren bist du kein Spezialist (z.B. für Banken, Versicherungen, Industrie) sondern hast alle möglichen Projekten (heute Maschinenbau, morgen Chemie). Du kannst diese Unternehmen nur richtig beraten, wenn du in der Lage bist, schnell das jeweilige Geschäftsmodell, das Produkt, ect. zu verstehen, egal ob es jetzt "deine Stärke" ist oder nicht. Einfaches Beispiel aus der chemischen Industrie: Es soll ein neuer Klebstoff im Automotive-Sektor eingeführt werden und im besten Fall kannst du dich mit den Entwicklern kurz über den Klebstoff unterhalten (chemische Formel, Aufbau, Einsatz, ect).
Ja, das Ganze ist stark idealisiert und trifft in der Realität nicht immer (oft) zu, ist aber ist der Kerngedanke, warum auf das Abitur so viel Wert gelegt wird. Beratung ist mehr als irgendwelche Standortanalysen oder Cost Cutting.
Durch meine Prüfungen bin ich mit jeweils 1 Tag Zusammenfassungen studieren gekommen und es hat für ein 2,9er Abi (in Süddeutschland) gereicht. Mathe war da natürlich immer ein Genickbruch, aber durch Glück und Schweiß bin ich auch dort mit einem Tag lernen knapp durchgekommen.
Und genau das bestätigt, warum auf ein Einser-Abitur so viel Wert gelegt wird. Ich hab eine 1,6 im Abitur gehabt (BaWü) und hab original ab Donnerstag quasi nur gesoffen, Freitag einen Kater in der Schule gehabt und am Wochenende noch Gastro-Jobs gearbeitet, weshalb ich mich effektiv bis Dienstag überhaupt ausnüchtern musste. Ich habe bis zwei Wochen (!) vor dem Abitur noch nicht einmal gewusst, was die Themen sind und trotzdem 12-Punkte im Mathe-Abi gehabt.
Aus Sicht der Beratung ist es jetzt nämlich so:
- Abi 1,x viel Lernzeit --> Ok, halbwegs intelligent und fleißig (bester Fall)
- Abi 1,x wenig Lernzeit --> Okay, nicht fleißig, aber zumindest Intelligent
- Abi 2,x viel Lernzeit --> zwar fleißig, aber leider nur "normal" intelligent
- Abi 2, x wenig Lernzeit --> nicht fleißig, dazu nur normal intelligent
und ganz ehrlich, 2,9 ist quasi eine 3,0 also --> weder intelligent noch fleißig
Das mag jetzt im Studium anders aussehen, aber genau das ist das Problem: Die 1,x in BWL ist quasi kein Indiz auf Intelligenz, sondern auf Fleiß, weil das meistens ohnehin alles nur Auswendiglernerei, Repetition und ggfs. jedes Semester quasi das Gleiche ist, nur anders verpackt. Abgesehen davon hat man in den meisten Fällen fast 5 Monate (!) Vorlaufzeit bevor es überhaupt auf die Prüfungen zugeht. Intelligenz kann man hier überhaupt nicht feststellen, sondern eben nur Fleiß.
PS: Hoffe der Post geht durch, bitte ggfs. anpassen. Ich möchte weder jemanden beleidigen noch sonst etwas, sondern den Leuten aufzeigen, welche "Gedankenprozesse" sich in einem Top-Beratungsunternehmen im HR abspielen.
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