WiWi Gast schrieb am 17.01.2021:
Liebes Forum,
ich bin mittlerweile 32, habe Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen und Kontexten (Inland / Ausland; öD / Privatwirtschaft) sammeln können und beobachte in den vergangenen Jahren mit Sorge wie sich die Einstellung unserer Generation zum Negativen wendet.
Wenn ich in meinen Freundes- und Bekanntenkreis schaue und gleichzeitig hier im Forum lese, sehe ich viele junge Leute, die ein großes Ziel in ihrem Arbeitsleben haben: Sicherheit und möglichst wenig Arbeit. Wo sind denn Ambitionen und Einsatzwille geblieben? Warum wollen so wenige junge Menschen etwas bewegen? Mir geht es bei dieser Beobachtung übrigens weniger um das Gehalt, etc. - aber ich habe insgesamt den Eindruck, dass die meisten jungen Menschen keine Lust haben Verantwortung zu übernehmen. Egal ob im Beruf, in der Politik, im gesellschaftlichen Engagement.
Wir erwarten die Vollaskoversicherung durch den Staat und versuchen dann für uns selbst zu optimieren (möglichst wenig Arbeitszeit be möglichst gutem Gehalt) - die gesellschaftlichen Konsequenzen sind uns erstmal egal.
Geht es nur mir so oder macht ihr ähnliche Beobachtungen? Woran liegt das?
Ich denke das Ausgangsziel vieler Menschen ist es letztendlich glücklich und erfüllt zu leben. Das schafft man einerseits für Erfüllung im Privatleben oder im Job.
Im Privatleben ist dieses Ziel noch relativ einfach zu erreichen. Da hat man die Zügel schließlich eher in der Hand als im Beruf.
Nur wer im Beruf glücklich und zufrieden ist bringt meiner Meinung nach automatisch Leistung und zeigt Einsatzwillen. Wer weniger zufrieden ist, muss sich stärker motivieren, um einen überdurchschnittlichen Einsatz zu bringen oder macht dann lieber Dienst nach Vorschrift und sucht sein Glück primär im Privatleben.
Mitarbeiter zu motivieren und in Entscheidungsprozesse einzubinden wäre daher meiner Meinung schon einmal ein wesentlicher Schritt zum Ziel, dass diese für das Unternehmen brennen und mitziehen. Vielmehr sehe ich aber bei großen Konzernen das Problem, dass politische Spielereien mehr Bedeutung haben, als das eigentliche Produkt und dessen Anwender.
Zum Teil werden dort völlig irrationale Entscheidungen getroffen. Nicht selten bin ich als Entwickler in solchen Projekten einfach nur noch nach dem Minimalprinzip mitgelaufen, weil ich die Entscheidungen des Managements null mittragen konnte. Wie sollen Leute da für etwas brennen und Innovationen vorantreiben?
Das ist eine Beobachtung, die ich wirklich schon oft gemacht habe, weshalb es mich auch zu einem kleinen Unternehmen verschlagen hat, wo ich noch aktiv den Weg mitgestalte.
Nicht selten stecken Leute auch im völlig falschen Job, weil sie vor vielen Jahren mal falsch abgebogen sind. Da wird es mit "Motivation und Einsatzwillen" dann natürlich noch schwieriger, wenn man sich ohnehin schon zum "Dienst nach Vorschrift" quälen muss. Häufig zerstören Verpflichtungen wie Hauskredit und Kind dann auch jede Möglichkeit, sich beruflich noch einmal umzuorientieren.
Das Versagen sehe ich da auch klar in den Prioritäten unseres Bildungssystems. Ich hatte bis zu meinem Abitur genau EIN zweiwöchiges Praktikum. Wie zur Hölle soll ein junger Mensch so mit einer relativen Sicherheit für sich bestimmen, in welche Richtung die Reise gehen soll? So dann den Beruf zu finden, der einen völlig fesselt halte ich für wirklich schwer.
Ca. ein Drittel meines Studienganges (Informatik) hatte damals keine wirkliche IT-Affinität, sondern war recht planlos in das Studium gestolpert und dachte sich, "dass man in der IT ja ganz gut verdient und das schon so passen würde". Hätte man dort vielleicht mal in der weiterführenden Schule mehr Fokus auf praktische Erfahrung und qualifizierte Berufsorientierung gelegt, wäre das nicht passiert, sondern diese Leute hätten vielleicht den Job entdeckt, für den sie "brennen" und wären nicht im sechsten Semester an einem Drittversuch einer Erstsemesterklausur gescheitert.
Aber solange Kunstunterricht oder das analysieren von Gedichten noch auf dem Lehrplan steht habe ich wenig Hoffnung, dass die heutigen Schüler mit mehr Peilung für ihre berufliche Zukunft aus der Schule kommen als meine Generation.
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