Ich habe meine Abschlussarbeit über Russland geschrieben, die Sprache ohne familiären Hintergrund gelernt (oder zumindest intensiv versucht) und war ca. 10-12 Mal die letzten Jahre in Russland, Tendenz abnehmend.
Vor ca. 8 Jahren wollte ich auch in Russland einsteigen, aber ausser ganz windigen Angeboten von dortigen kleinen Unternehmen (für die ich als Einsteiger ein Vertriebsnetz in Europa aufbauen sollte) kam nichts ernsthaftes bzw. seriöses zustande.
Als Einsteiger hat man ja aber auch rein gar nichts zu bieten. Russen, die deutsch können, gibt es genügend. Die ganze Geschichte war ja noch vor dem Rubel- und Ölpreisverfall, jetzt würde ich es ohne Connetions als quasi ausgeschlossen betrachten, als durchschnittlicher Einsteiger dort einen Job bekommen zu wollen.
Ich habe im Laufe der Zeit einige gute Freunde dort, bei denen ich dann auch bei meinen Besuchen gewohnt habe und kenne also in Ansätzen den russischen Alltag:
1.) Öffentlicher Nahverkehr: spottbillig, unzuverlässig, relativ gefährlich (Marschrutkas), ingesamt sehr umständlich
2.) Menschen: Meistens sehr nett, insbesondere wenn man ein wenig russich kann und keine Scheu hat, auf Menschen zuzugehen.
3.) Arbeitsleben: läuft alles sehr schleppend, Motivation, Eifer, Dispziplin, Wille ist anders ausgeprägt als bei uns. Damit würde ich jetzt mit Berufserfahrung wohl nicht ganz klarkommen. Inzwischen arbeite ich bei einem Konzern und die relevanten Kennzahlen meines Bereichs der Zentrale in Moskau sind mit großem Abstand die schlechtesten weltweit.
4.) Essen: gewöhnungsbedürftig, kommt natürlich auch auf den eigenen Anspruch an
5.) Gehalt: Erbärmlich.
6.) Sicherheit: Entgegen der medialen Darstellung ist es nicht sonderlich gefährlich. Mit Sicherheit nicht gefährtlicher als in der steigenden Anzahl dubioser Gegenden bei uns.
7.) Party / Nightlife: herausragend. Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass der Eintritt in Discos tlw. 15 Euro (für unsere Kaufkraft ca. 50 Euro) kostet, d.h. das Klientel dort ist eben sehr selektiv und hat nichts mit "Durchschnitt" zu tun. Wie oft würdest du einen Fuffi Eintritt in eine Disse hier zahlen? Aber feiern kann man mit den Russen und Russinnen natürlich brachial, kaum bekannt wird man schon zu Speis und Trank eingeladen und die Jungs sind eifrig bemüht, dass man auch Bekanntschaften der weiblichen Gattung macht. Und damit meine ich nicht gegen Bezahlung. Im russischen Nachtleben habe ich schon die wildesten Sachen erlebt, das hat meine Vorstellungskraft überstiegen.
Kurzum: Wenn dich Russland interessiert geh nach dem Studium ein halbes Jahr als Touri hin und schau es dir an. Ich für meinen Teil habe die Variante "sicherer Konzernjob hier und ausgiebige Urlaube dort" als perfekte Lösung gefunden. Arbeiten würde ich inzwischen dort nicht mehr wollen, auch für das gleiche Gehalt wie hier nicht.
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