Ich bin der "Oberschichtenkenner" mit dem langen Beitrag. Zunächst mal finde ich es interessant, dass vermutet wird, mein Vater stamme aus der Oberschicht. Wieso könnte es nicht umgekehrt sein? Außerdem habe ich mit meinem Hinweis nicht gemeint, dass wir viel Geld hätten. Es gibt bei adligen Familien immer auch Nachfahren, die nichts erben außer einer guten Erziehung von daheim, dem richtigen Selbstbewusstsein und ein paar guten Beziehungen. Für einen Start ins Leben reicht das meiner Meinung nach auch aus. Ich komme aus der Mittelschicht, weil wir nie viel Geld hatten, aber auch nie wenig.
Zu den Benimmregeln: Ich habe gelegentlich in Benimmbücher geschaut und sie immer sofort weggelegt. Sie haben so etwas Starres, Steifes, Unflexibles. Gutes Benehmen kann so in meinen Augen nicht entstehen. Benimmregeln sind entstanden, damit die Menschen sich so verhalten, dass ihre Anwesenheit möglichst angenehm für andere ist. Das fängt mit den Essmanieren an. Essmanieren sind kein steifes Korsett aus unsinnigen Regeln, sondern sollen einfach nur sicher stellen, dass mein Essverhalten für andere ansehnlich und angenehm ist. Die Gesprächsregeln bei Tisch sind entstanden, damit meine Gesprächsbeiträge nicht dazu führen, dass die Menschen sich streiten oder peinlich berührt werden. Deshalb sind die Themen Politik, Religion, Geld und Krankheiten einfach unangebracht. Ich finde auch, dass gutes Benehmen nicht immer 100% konform mit den "Regeln" sein muss, solange es trotzdem angenehm für andere ist. Das ist aber meine ganz persönliche Meinung. Es kann auch zum guten Benehmen gehören, mal ganz galant über die eine oder andere kleine Regel hinwegzublicken.
Zum Umgang mit Geld: Der entfernte Teil meiner Vorfahren aus der "Oberschicht" hat mir immer beigebracht, dass man über Geld nicht spricht (es war sowieso fast nichts mehr übrig). Früher habe ich das nie verstanden. Heute schon. Weil Gespräche über Geld etwas sehr Unangenehmes für diejenigen haben, die kein Geld besitzen. Es gibt eine Vielzahl von schöneren Themen, über die man sprechen kann. Gerade diejenigen Menschen, die viel Geld haben, sollten deshalb besonders bescheiden in der Öffentlichkeit auftreten. Protz ist das Verhalten der Unterschied, die versehentlich zu Geld gekommen ist. Oberschicht protzt nicht. Oberschicht genießt und schweigt. Und ist dabei noch besonders höflich und zuvorkommend gegenüber anderen, insbesondere zu denen mit "kleinen" Berufen (Kellner, Hotelangestellte, Tankwarte etc.). In meinen Augen erkennt man daran die wahre Größe eines Menschen. Nichts ist widerlicher als kleine Emporkömmlinge (meist mit abartig schlechtem Deutsch und fast völlig frei von Manieren), die aufgrund einer kurzfristigen Position am längeren Hebel (z.B. als Gast in einem Restaurant) glauben, herablassend mit anderen umgehen zu dürfen.
Das bedeutet nicht, dass kleine Leute nicht eines Tages ganz groß rauskommen können. Ein gutes Beispiel sind Top-Fußballspieler. Die verdienen ein Vermögen, und das mit ehrlicher Arbeit. Wir sollten alle unseren Hut davor ziehen. Tun wir trotzdem nicht, weil wir sehen, was das Geld aus diesen Menschen macht. Wer nie gelernt hat, mit einem dicken Bankkonto umzugehen, den wird ein plötzliches dickes Bankkonto in der Öffentlichkeit besonders blamieren, weil er sich auf peinliche Weise zur Schau stellt. Lamborghini fahren, in den teuersten Hotels verkehren, aber trotzdem nicht wissen, dass man dem Kofferträger ein Trinkgeld gibt und dass man gerade bei den kleinen Berufen besonders freundlich "Danke" sagt.
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