Du bist seit 1,5 Jahren in einer Position und frustriert. Zusammengefasst, habe ich folgende Gründe gelesen:
- Musste mir fast alles selbst beibringen (schlechte Einarbeitung).
- Den Chef interessiert nicht, was man so treibt. Nur, wenn was hochpoppt, gibt's Ärger.
- Hoher Zeitdruck (knappe Deadlines)
- Man steckt viel rein und bekommt durchschnittliche Bewertungen.
Nun schaust Du "nach oben" und stellst fest, dass es dort noch viel schlimmer sein muss:
- Mehr Arbeit,
- mehr Verantwortung.
Was ich nun schreibe, soll keineswegs altklug, besserwisserisch oder gar schadenfroh klingen. Ganz im Gegenteil. Ich möchte Dir die Illusion nehmen, dass es bei einem anderen Unternehmen automatisch völlig anders sein wird. Denn: So ist das Leben als Angestellter in einem großen Unternehmen, und zwar insbesondere in einem solchen, wo viele BWLer zu relativ guten Konditionen eingekauft werden, um sie dann am Markt zu "verheizen". Bei den Beratungen wird es kaum anders laufen.
Ich wundere mich, dass viele Poster Dir ganz spontan zum Jobwechsel raten, ohne das Problem wirklich näher diskutiert zu haben. So funktioniert das nicht! Wie oft sollst Du den Job denn wechseln? Immer dann, wenn es mal hart auf hart kommt? Leute, wir wissen doch gar nicht, ob das Problem wirklich "objektiv" existiert oder ob nicht vielleicht der Threadersteller schlicht und ergreifend noch nicht den richtigen Zugang zu der Arbeit gefunden hat. Das soll nun überhaupt kein Vorwurf an die Threaderstellerin sein. Eine jede Tätigkeit macht erst dann Spaß und bringt erst dann Erfüllung, wenn man seinen ganz persönlichen Zugang zu ihr gefunden hat. Erst dann wird aus dem Beruf die Berufung.
Um das Problem wirklich zu verstehen, sollte sich die Threaderstellerin ein paar Fragen stellen. Also:
- Sind die von Dir beschriebenen Zustände offensichtlich systemimmanent oder sind sie durch die Person Deines Vorgesetzten verursacht?
- Geht es Deinen Kollegen auf anderen Projekten auch so?
- Was müsste sich kurzfristig ändern, damit Du morgens mit deutlich positiveren Gefühlen zur Arbeit gehst?
- Kennst Du eine Person, die genau diese Situation viel besser meistern würde? Wenn ja, wer ist das und was ist an ihr so besonders, dass sie weniger leiden würde?
Jobwechsel ist natürlich kurzfristig immer eine "Lösung", denn man löst das eine Problem durch das nächste ab. Ein Leben lang kann man das aber nicht machen. Man darf vor seinen Problemen nicht weglaufen, nur weil man gerade keine Lösung sieht. Du hast bei diesem Problem eine einzigartige Chance, für Dein gesamtes Leben eine Lektion zu lernen. Wenn Du es schaffst, dieses Problem (ohne Jobwechsel!) zu lösen, dann kann Dich so schnell nichts mehr unterkriegen. Dann bist Du im quasi ein Level weitergekommen, bist ein Stück weit abgehärtet und "kampferprobt". Ein Leben lang kannst Du dir dann sagen: "Ich brauche keine Angst zu haben, denn ich habe damals im ersten Job die Kurve gekriegt, obwohl es doch völlig aussichtslos war." Glaube mir, das baut auf.
Du hast geschrieben, dass Du dir von dieser Arbeit auch Anerkennung von Deinen Eltern versprochen hast. Ich weiss nicht, ob Du diese persönlichen Dinge hier im Forum breitwalzen möchtest, aber da scheint es doch erheblichen Klärungsbedarf zu geben. Könnte es sein, dass das Thema Selbstbewusstsein und Anerkennung im Moment für Dich eine sehr große Rolle spielt und dass es Dir gerade deshalb stinkt, von Deinem Chef nicht wirklich wahrgenommen zu werden?
Übrigens: Dass man für Informationen gerade stehen muss, die man von anderen Leuten nicht hat bekommen können, ist in der gesamten Wirtschaftswelt usus. Das geht mir im Einkauf genau so. Hat der Lieferant nicht rechtzeitig reagiert, trägt der Einkauf die Schuld. Davor bist Du nirgends sicher.
Eine richtige Lösung habe ich auch nicht für Dich. Aber mir scheint, Du brauchst im Moment eher etwas Beistand als praktische Ratschläge. Denn leider bist Du selbst die einzige, die das Problem wirklich nachhaltig lösen kann.
D.Ek.
P.S.: Eigentlich alle der Kritikpunkte, die Du vorgebracht hast, könnte ich in meinem Beruf auch vorbringen. Anfangs hat mich das auch sehr gewurmt. Hilft Dir das weiter?
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