Sinnhaftigkeit des und Perspektiven nach dem Biologie-/Biochemie-/Biotechnologie-/Molekulare-Medizin-/Umwelttechnik-Studium(s)
Liebe Foristen,
auf Anregung eines Mitforisten hier noch mal ein Beitrag im "richtigen" Forum von einem, der es „geschafft“ hat, sprich als Biotechnologe in der Industrie mit direkter unbefristeter Einstellung und akzeptablem Gehalt untergekommen ist, zur Sinnhaftigkeit und den Perspektiven, besonders den Chancen auf einen Job, nach biolastigen und umweltlastigen Studiengängen:
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Überlegt Euch gut, wessen Tipps ihr annehmt. Leute, die selbst erst im dritten Semester studieren, Doktoranden, Postdocs und auch Professoren, die Jobs nach der Uni nur vom Hörensagen kennen, haben vom wahren Leben nach der Uni nicht die geringste Ahnung haben. Das trifft auf die meisten zu, die hier posten. Es hält sie (besonders Profs) nicht davor ab, ihre Irrglauben („Unsere Absolventen werden in der Industrie stark nachgefragt“) im Brustton vollster Überzeugung kundzutun, um Studienanfänger zu ködern.
- Sämtliche biologielastigen und umweltlastigen Uni-Studiengänge (Bio, Biotechnologie, Molekulare Medizin, Umwelttechnik, Biotechnik usw.) gehören meiner Ansicht nach abgeschafft, unabhängig von der Spezialisierung, denn von den Absolventen wird praktisch niemand gebraucht: in meinem Konzern stellen wir ca. 4 pro Jahr ein, damit gehören wir zu den Toparbeitgebern in Deutschland. Gleichzeitig gibt es aber tausende promovierte Absolventen pro Jahr. Wenn ein paar FHs Kurse anbieten, reicht das, damit wir von denen die paar Nichtpromovierten rekrutieren können, die wir zum Putzen der Fermenter brauchen.
Von den promovierten Bio-Uni-Leuten ist nur eine kleine Elite (ca. 1 Promill) nach den üblichen Kriterien der Personaler so gut qualifiziert, dass sie realistisch mit einem Job rechnen kann, mit dem sie nicht fachlich oder tatsächlich arbeitslos ist. Wenn die anderen Stellen bekommen, dann nur durch Zufall, sie haben schlicht Glück gehabt, dass sie z.B. der einzige der 500 Bewerber waren, der mit dem gerade interessanten Organismus schon mal gearbeitet hat. Nur um Nachfragen vorzubeugen: was gerade gefragt ist, ändert sich täglich und kann nicht vorhergesagt werden.
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Spezialisierung wie Promotionsthema nach Industriebedarf auswählen ist deshalb schwierig. Allerdings sind immer noch genug Leute so blöd, sich von schwachsinnigen Profs Themen aufschwatzen zu lassen, mit denen sie alle Industriejobs mit Sicherheit umschiffen. Wer drei Jahre lang in der Karibik Krabben jagt, Plankton fischt, Bäume zählt oder mikrobiologische elektrochemisch-betriebene µReaktoren für Korallenriffe baut, soll das bitte realistisch betrachten: als Urlaub auf Kosten der späteren Karriere, nicht als Berufsqualifikation.
- Nur als praktischer Tipp: wer meint, dass er dennoch unbedingt biologische oder umwelttechnische Forschung betreiben will (egal ob an der Uni oder in der Industrie), sollte Chemie studieren (für Ökologie vielleicht Mathematik), ein sehr gutes Abi haben, am Ende der Promotion perfekt Englisch sprechen, wenigstens ein Jahr im Ausland gewesen sein, ständig gepackte Koffer bereithalten (und einen Partner, der das mitmacht), als Doktorand 60 h+ arbeiten, zur Selbstdarstellung und zum Einschleimen bei Profs bereit sein. Alles, was ein Biologe kann, kann ein Chemiker schon lange oder er kann es schnell lernen.
Die Fraktion, die Biologie o.ä. studiert, weil sie gerne mit Hamstern spielt, in der Schule so gute Noten in Bio hatte (aber Chemie nicht mag), unbedingt das studieren will, was mit Anfang 20 am meisten Spaß macht (und später wird man schon irgendwas finden) oder einen Freund hat, der leider ortsgebunden ist o.ä.: macht eine Berufsausbildung und geht am Wochenende in den Zoo. Überlegt realistisch, ob ein Hochschulstudium das richtige ist.
Folgt diesem Rat oder nicht. Aber ignoriert nicht zehn Jahre an der Uni die Realität und jammert dann rum, wenn ihr danach auf der Strasse steht oder als Kassierer bei Aldi jobbt. Jeder, der in den letzten 20 Jahren Bio oder Umwelt angefangen hat, wusste oder hätte wissen können, dass das Ende ein Hartz 4-Antrag sein kann. Rechtzeitig gegensteuern, möglichst am Anfang.
Ich hoffe, hier einigen naiven Zeitgenossen auf die Sprünge geholfen zu haben. Wenn nur einer davon von Bio abgeschreckt wird und stattdessen die Lehre beginnt, die er nach der Promotion nicht mehr machen kann, habe ich der Gesellschaft heute echt einen Gefallen getan und ihm Depression(en) und Verzweiflung erspart.
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