Nobelpreisträger für Wirtschaft 1995
Der Nobelpreis für Wirtschaft ging 1995 an den Ökonomen Robert E. Lucas, jr., für seine Entwicklung und Anwendung der Theorie rationaler Erwartungen.
Der Wandel in unserem Verständnis der sogenannten Phillips-Kurve ist ein hervorragendes Beispiel für die Bedeutung der Beiträge von Lucas. Die Phillips-Kurve zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen Inflation und Beschäftigung. In den späten `60er Jahren erschien sie als empirisch fundiert und wurde als eine der stabileren wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet. Auf ihrer Grundlage schien es sinnvoll, dass Regierungen zur Förderung der Beschäftigung eine expansive, inflationssteigernde Politik betrieben. Milton Friedman und Edmund Phelps argumentierten jedoch, dass die Erwartungen der Öffentlichkeit sich einer höheren Inflation anpassen und somit eine dauerhafte Steigerung der Beschäftigung verhindern würden. Sie stellten fest, dass die Philips-Kurve nur kurzfristig abfällt und langfristig vertikal verläuft. Diese Kritik vermochte jedoch nicht wirklich zu überzeugen, da Friedman und Phelps adaptive Erwartungen voraussetzten. Diese Annahme impliziert jedoch in der Tat einen stetigen Anstieg der Beschäftigung bei einem dauerhaften Anstieg der Inflation. Im Jahre 1972 gelang Lucas mithilfe der Rational-Expectations-Hypothese zum ersten Mal eine befriedigende Lösung der Frage, warum die Phillips-Kurve nur kurzfristig abfällt, während sie langfristig vertikal verläuft - warum mit anderen Worten jede Art von Stabilitätspolitik auf lange Sicht keine Auswirkungen auf die Beschäftigung hat. Lucas erstellte ein raffiniertes theoretisches Modell, in dem zeitliche Ketten in der Tat eine positive Korrelation zwischen Inflation und Beschäftigung anzuzeigen scheinen. Statistische Untersuchungen dieser zeitlichen Ketten könnten leicht zu dem Schluss kommen, dass eine expansive Wirtschaftspolitik zur Steigerung der Beschäftigung geeignet ist. Dennoch zeigte Lucas, dass jeder Versuch, die Phillips-Kurve zur dauerhaften Steigerung der Beschäftigung zu nutzen, zum Scheitern verurteilt ist und lediglich einem Ansteigen der Inflation den Weg ebnet. Grund hierfür ist, dass wirtschaftliche Akteure in diesem Modell ihre Erwartungen - und somit auch die Formierung von Preisen und Löhnen - der neuen, erwarteten Politik anpassen. Die Erfahrungen der `70er und `80er Jahre haben gezeigt, dass eine höhere Inflation zu keiner dauerhaften Steigerung der Beschäftigung führt. Diese Sicht der langfristigen Wirkungen wirtschaftspolitischer Stabilisierungsmaßnahmen gilt heute als allgemein anerkannt. In vielen Ländern bildet sie die Grundlage einer Geldpolitik, die auf eine niedrige und stabile Inflationsrate abzielt.
Der Verlauf der Phillips-Kurve verdeutlicht die Fallstricke für eine Wirtschaftspolitik, die sich unkritisch auf rein statistische makroökonometrische Modelle stützt. Die im Jahre 1976 vorgestellte »Lucas-Kritik« verdeutlichte, dass Beziehungen, welche die ökonometrische Analyse zuvor als »strukturell« betrachtet hatte, in Wirklichkeit durch frühere politische Maßnahmen beeinflusst wurden. Vor zwei Jahrzehnten beinhaltete so gut wie jedes makroökonometrische Modell Relationen, die bei genauerem Hinsehen als abhängig von der Fiskal- und Geldpolitik im betrachteten Zeitraum erscheinen mussten. Es ist daher offensichtlich, dass sich dieselben Relationen keineswegs zur Nutzung in Simulationen eignen, die der Vorhersage der Wirkungen anderer fiskalischer oder geldpolitischer Maßnahmen dienen sollen. Dennoch wurden die Modelle des öfteren in genau dieser Weise genutzt.
Die Lukas-Kritik hat wirtschaftspolitische Empfehlungen entscheidend beeinflusst. Ein Wechsel der Wirtschaftspolitik führt oft zu völlig anderen Ergebnissen, wenn die Akteure ihr Handeln der neuen Politik anpassen. Heutzutage ist es bei der Evaluation der Konsequenzen solcher Politikwechsel selbstverständlich, die aus einer veränderten Erwartungshaltung resultierenden Veränderungen im Verhalten wirtschaftlicher Akteure zu berücksichtigen. Dies gilt z.B. für die Festsetzung neuer Wechselkurse, die Geldpolitik, Steuerreformen oder Reformen von Arbeitslosenversicherungen.
Wie können Forscher die Fehler vermeiden, vor denen die Lukas-Kritik warnt? Lukas selbst forderte ein Forschungsprogramm mit dem Ziel der Erstellung makroökonometrischer Modelle, deren Relationen unabhängig von wirtschaftspolitischen Veränderungen sind - also auf rationalen Erwartungen beruhende Gleichgewichtsmodell. Sämtliche wichtigen Variablen werden hier innerhalb des Modells bestimmt, auf der Grundlage der Interaktion zwischen rationalen Akteuren, die rationale Erwartungen haben und in einem genau definierten wirtschaftlichen Umfeld agieren. Ferner soll das Modell ausschließlich von der Politik unabhängige Parameter berücksichtigen. Dies wiederum erfordert solide mikroökonomische Grundlagen - d.h., das Modell muss die mit den Entscheidungen individueller Akteure verbundenen Probleme vollständig abdecken. Die Parameter werden dann mithilfe eigens zu diesem Zwecke entwickelter Methoden berechnet. Inzwischen liegen einige interessante Versuche zur Erstellung solcher Modelle vor - etwa im Bereich der empirischen Analyse von Investitionen, Konsum und Beschäftigung und beim »asset pricing« auf den Finanzmärkten. In der Praxis hat sich die Implementierung solcher Programme jedoch als problembehaftet erwiesen, und nicht alle Versuche sind erfolgreich verlaufen.
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