Der Threadersteller kann eigentlich nur ein Theoretiker sein. In der beruflichen Praxis sieht einiges anders aus, als es auf Studenten wirken mag.
Meine persönliche Erfahrung ist: Ich arbeite in einer kaufmännischen Verwaltungsfunktion. Mein Arbeitsgebiet ist eine Mischung aus operativen und strategischen Aufgaben. Die operativen Aufgaben erledige ich in der Tat dadurch, dass ich Arbeit vom "Auftragseingang" (E-Mail, Telefon, Aufgabe vom Chef, Aufgabe von woanders etc.) weiterbearbeite und "erledige". Das schafft man gut tagsüber. Es gibt sogar Berufe, bei denen das gesamte Arbeiten daraus besteht, Arbeit vom Posteingang zu bearbeiten und in den Postausgang zu schaffen. Prozesskette halt.
Nun möchte ich aber im Unternehmen erfolgreich sein und nicht nur Arbeit wegschaffen, sondern auch an der langfristigen Entwicklung des Unternehmens teilhaben. Das findet oft in Form von Projekten statt, die ich zusätzlich zu meiner operativen Aufgabe betreue. Die Projektarbeit äußert sich oft in längerem Zusammensitzen mit anderen Projektmitarbeitern ("Meeting" genannt, bewusst in Anführungszeichen gesetzt). Sowas passt viel besser in den Abend, weil man keine Anrufe mehr verpassen kann (es ruft ja niemand mehr an). Außerdem passt es viel besser zu meinem Biorhythmus, die Standardaufgaben auf den Nachmittag zu legen und die Nachdenkaufgaben in den frühen Abend.
Ob es nun "effektiver" wäre, die ganze Arbeit unter Zwang in einen 8h-Tag zu pressen, lasse ich mal dahingestellt. In meinen Augen ganz klar NEIN. Meine Leistung besteht auch daraus, ein Thema mit Kollegen intensiv ausdiskutieren zu können und dabei vielleicht auch mal für ein paar Minuten abzuschweifen. Außerdem sind abends die Führungskräfte zugänglicher, da die schützende Sekretärin nicht mehr da ist und man z.T. direkt durch eine offene Tür zum Management gehen kann.
Das alles wirkt auf Studenten bestimmt unterwürfig, arbeitgeberfreundlich und angepasst. In kaufmännischen Verwaltungsaufgaben geht es aber normalerweise so zu. Die Leistung besteht daraus, neben operativen Themen auch strategische Themen zu behandeln, und dafür braucht man Zeit, ein Netzwerk und die Sichtbarkeit nach oben.
Weiter oben schrieb jemand, in "deren Augen" zählten Ergebnisse "wohl weniger". Ich weiss nicht, in welcher Funktion und welcher Firma der User arbeitet. Vielleicht gibt es in seinem Bereich in der Tat Aufgaben, die sich in klaren Ergebnissen messen lassen und bei deren Erreichen man dann nach Hause geht. In meiner Leistungsvereinbarung stehen keine konkreten Zahlen, sondern Projektziele. Gerade weil die Projektziele wichtig sind und nur in intensiver Arbeit mit Kollegen aus anderen Bereichen erreicht werden können, ist mein Arbeitstag lang.
Die Kaffeepausen mit Kollegen sind ja nicht nur dazu da, über Privates zu plaudern, sondern auch dazu, um aus anderen Bereichen etwas über die Projekte und Stimmungen zu erfahren. Man baut sich ein Netzwerk auf und schafft Kommunikationskanäle, die offiziell gar nicht vorgesehen sind. Das nutzt mir zwar nichts bei meiner täglichen Arbeit, umso mehr dafür aber, wenn ich mal ein außergewöhnliches Projekt habe. Dann nämlich kann ich auf Kollegen zugehen und Informationen erhalten, die mir sonst verwehrt wären. In meinem Bereich unseres Unternehmens ist noch nie jemand weitergekommen, der diese Art des Netzwerkaufbaus nicht beherrscht.
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