WiWi Gast schrieb am 17.01.2020:
Das soll nicht heißen, dass ich ignorant bin und die Wichtigkeit der Softskills leugne. Es ist mir aber wichtig, dass die Hardskills Priorität haben und wenn ich dann im Audit Leute ganz oben habe, die 2,0 Abi und 2,3 Bachelor vorzuweisen haben, dann fühle ich mich unwohl. Weil wie zur Hölle kann es jemand denn nach oben schaffen, der solch einen Notenschnitt hat?
Das ist ganz einfach erklärt. Jede Stufe im Leben hat andere Anforderungen, wobei diese mit der nächsthöheren Stufe immer präziser werden. Im Abi durftest du noch philosophieren, Goethes Faust lesen, Pflanzennamen auswendig lernen, usw. Im Studium ist es dann Statistik, Marketing, Steuern, usw. Beim Steuerberater sind es nur Steuern. Jemand, der als Steuerberater ein exzellentes Examen hat, muss also nicht notwendigerweise gut bei Faust gewesen sein. Dieses "Defizit" wird sich auch nicht negativ auf seine Arbeit auswirken.
Das Problem ist, dass gerade in den breit angelegten Bildungsabschlüssen (Abitur) immer diejenigen im Nachteil sein, die sich schon früh(!) für sehr spezifische Dinge interessieren und keine Freude daran haben, in die Breite zu gehen. Der Steuer-Crack oder Mathematik-Nerd wird kein sehr gutes Abi haben, weil er nunmal keinen Bock auf Faust hat. Genau diese Leute braucht aber die Gesellschaft, weil sie bereit sind Regeln zu brechen um das Bestehende weiter zu entwickeln. Warum? Nun, weil sie die nötige Respektlosigkeit durch Spezialwissen(!) besitzen, um das Etablierte zu hinterfragen.
Was die Gesellschaft nicht braucht, ist ein Haufen angepasster 1er-Abiturienten, die sich alle nur über die Note und nicht über ihren Sachverstand definieren. Und zwar nicht, weil sie alle so gut sind, sondern weil sie maximal das getan haben was das System von ihnen verlangt hat. Sie mögen auch nicht Faust, aber sie haben auch nicht die nötige Intelligenz (also den nötigen Biss!) sich mit einer anderen Sache im Detail zu beschäftigen. Warum sollten sie auch? Sie fahren ja ganz gut mit der Breitenstrategie. Das ist der große Widerspruch unseres Bildungssystems. Fairerweise muss man dazu sagen, dass dies auch nicht für alle Jobs (respektive "Leben allgemein") später notwendig ist.
Das gilt auch abgemildert für die Studienabschlüsse und selbst für die Promotion.
Es gilt der alte Spruch: "Nach dem Abi denkt man, dass man alles weiß. Nach dem Studium weiß man, dass man nichts weiß."
Jemand, der wirklich Ahnung von einem Thema hat, der weiß, dass dies ein unendlicher Prozess ist. Deswegen kommt es ihm nie in den Sinn, dass er eine Grenze überschritten hat, die ihm zu etwas befähigt. Deswegen sieht er die Promotion nur als Mittel zum Zweck. Jemand, der die ganze Zeit nur auf den Abschluss aus ist, denkt hingegen, dass er mit dem Aushändigen der Urkunde eine Schwelle überschritten hat die... ja was eigentlich genau aussagt?
antworten