Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 12
Es wunderte ihn kaum, dass er am Eingang des Parkhauses von zwei uniformierten Polizisten angehalten wurde.
Auf allen Kanälen brachten sie das verhängnisvolle Ereignis. Unvorstellbar schien indes wie viele Kameras aufgefahren worden waren und wie viele Perspektivenwechsel die einzelnen Sender herbeizuführen im Stande waren. Die Gesichter des Todes waren allgegenwärtig geworden. Inzwischen war die Zahl der Toten auf sechsundvierzig angestiegen, und zwei weitere Menschen kämpften um ihr Leben. Selbst aus den OP´s flimmerten die Bilder schonungslos hinein in die Wohnzimmer der Metropole.
Die Bilder, die aus dem Fernsehen über Philipp hereinbrachen, waren ihm zwar alle bekannt, zogen ihn aber doch in ihren Bann. Der Schmerz, den er am Anfang, kurz nachdem es direkt vor seinen Augen passiert war, empfand, schien betäubt. Er hatte das Gefühl eine Überdosis genommen zu haben, denn je länger er die Reportagen und Berichte vom Ort des Schreckens auf sich einwirken ließ, um so weniger spürte er jenen Druck seiner Eingeweide. Er zappte weiter, doch es gab kein Entkommen. Das Ereignis schien in kleinste Bestandteile seziert worden zu sein. Hundert oder gar tausend Fragmente weckten den Eindruck, am Ende willkürlich über den Bildschirm zu wandern. Alles war scheinbar beliebig austauschbar, und das zeugte davon, dass es offensichtlich kein Entkommen gab, dass man sich in einem Teufelskreis befand. Ihm war so als sollte die Beliebigkeit der Bilderfolge darauf verweisen, dass er keinen Einfluss darauf hatte, wo er sich selber gerade befand. Ein Umschalten auf einen der anderen Kanäle bedeutete nur so etwas wie eine Phasenverschiebung. Ein Sequenzensprung, bei dem die Richtung nicht mehr zu erkennen war. Ging es vor oder zurück? Wo befand man sich? Das Ereignis war plötzlich losgelöst von Raum und Zeit, weit weg von einem übergeordneten Ordnungsprinzip. Zeigten die Bilder das Attentat direkt im Moment nach der Detonation oder stellten sie die Situation dar, wie sie sich Minuten später zugetragen hatte. Alles war fließend und hatte dennoch den Charakter von Bruchstücken. Der Wechsel auf der Ebene der Perspektiven, der in äußerster Rasanz erfolgte, ließ das Ganze aber auch zum Teil so fern der Realität erscheinen wie ein in seinen schnell wechselnden Handlungsverläufen abgespulter Actionfilm.
Die Schnitte erinnerten an die Machart Hollywoods, doch das Wissen, dass es auf Realem beruhte, löste doch wieder ein Gefühl der Beklemmung und absoluter Hilflosigkeit aus. Sein Empfinden war schließlich geprägt von Widersprüchlichkeit. Denn die Phasenverschiebung fand schließlich auch in seinem Kopf statt. In einem Moment hatte er das Gefühl alles noch einmal zu erleben und im nächsten Moment baute sich in ihm eine erschreckende Distanz zu all dem auf. Er konnte diese Phasen weder steuern, noch war er in der Lage seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden. Immer wieder dieselben Bilder durchtränkt von blauen, roten und grell weiß flackernden Lichtern. Immer wieder dasselbe Blut, dieselben Schreie, dieselben von Panik verzehrten Gesichter. Die Bilder hatten eine lähmende Wirkung. Ihm war so als wäre ihm ein Narkotikum injiziert worden, das seinen gesamten Körper in eine Starre versetzte.