Hallo zusammen,
Ich finde die Diskussion ja sehr spannend und gleichzeitig überrascht es mich sehr, dass immer noch so viel Zurückhaltung vor der Großkanzlei besteht. Vielleicht kurz zu mir: Ich selbst bin kein Volljurist und habe nach dem Studium bzw. schon während des Studiums im Rahmen diverser Praktika den Einstieg in die M&A Tax Abteilung einer Big4 gewählt. Hintergrund war sicherlich auch bei mir, dass die Big4 der "sichere" und bekannte Weg ist, während die Großkanzleien typischerweise ja wohl überwiegend Volljuristen mit Prädikatsexamina suchen. Nach absolviertem Steuerberaterexamen habe ich mich jedoch dann entschieden, den Schritt in die Großkanzlei zu wagen und habe diesen Schritt zu keinem Zeitpunkt bereut.
Einige von Euch haben oben geschrieben, dass in den Steuerabteilungen der Großkanzleien typischerweise nur Volljuristen eine reale Chance haben, interessante Aufgaben, insb. im Bereich der Strukturierung von Unternehmenskäufen, wahrzunehmen, während die BWLer so gut wie ausschließlich Tax Compliance Aufgaben oder im Einzelfall auch etwas weniger anspruchsvolle Aufgaben wahrnehmen. Nach meinen Erfahrungen ist genau das Gegenteil der Fall. Ich selbst habe seit meinem Start in der Großkanzlei vor gut 1 1/2 Jahren nicht eine einzige Aufgabe im Bereich Tax Compliance wahrgenommen. Auch Aufgaben im Bereich der Unternehmensübernahmen, die fachlich etwas weniger "am Hochreck" stattfinden, wie z.B. Tax Due Diligence, werden fast ausschließlich von den Big4 M&A Tax Bereichen wahrgenommen. Der Schwerpunkt der Aufgaben in der Steuerabteilung (meiner) Großkanzlei liegt eindeutig im Bereich des internationalen Steuerrechts und der Steuerplanung und -gestaltung, sowohl in der laufenden Beratung als auch im Bereich der Transaktionen. Mit ist übrigens nicht bekannt, dass in den Großkanzleien Tax Compliance in signifikantem Umfang ein Thema ist. Wenn tax compliance am Markt überhaupt extern beackert wird, dann von den Big4 oder von mittelständischen StB-Kanzleien. Das Geschäft im Bereich der laufenden Deklarationsberatung erfordert einfach mehr personelle Kapazitäten, gleiches gilt für die Bearbeitung großflächiger Tax DD's. Die Großkanzleien haben diese i.d.R. nicht und spezialisieren sich daher auf die Beratung ausgewählter Bereiche, die i.d.R. auch fachlich (jedenfalls für mich) deutlich interessanter sind.
Wenn der Schwerpunkt im Bereich die Gestaltungs- und Transaktionsberatung sein soll, würde ich stets zur Großkanzlei tendieren. Das Geschäft der M&A Tax Departments in den Big4-Gesellschaften ist die Due Diligence, stets nach vorgeschriebenen Mustern und Abläufen. Als Einsteiger hat man zwar den Vorteil, dass dort durchaus auch sehr interessante Deals über den Tisch gehen, aber der Verantwortungsbereich und auch das fachliche Niveau sind dort nicht zu vergleichen mit dem in der Großkanzlei. Auch die Weiterentwicklung in den Big4 ist m.E. nicht immer gesichert. Es hängt doch maßgeblich davon ab, wie viele Leute auf einer Stufe verharren. Da das Deal-Geschäft in den vergangenen Jahren sehr volatil war, gibt es dann auch Zeiten, in denen die Auslastung nach unten geht und dann ist es auch vorbei mit den tollen Deals, in bestimmten Bereichen wird man dann auch auf Secondments in andere Bereiche versetzt. Insgesamt erscheint mir auch der Grad an Spezialisierung in den Service Lines der Big4 recht kritisch für einen Einsteiger. Die fachliche Breite wirst Du nur sehr selten bekommen, z.B. wirst Du im Bereich M&A Tax in den ersten Jahren fast kaum Berührung bekommen mit umsatzsteuerlichen Fragestellungen. Im Steuerbereich der Großkanzleien wiederum ist es entscheidend, dass Du fachlich breit aufgestellt bist und hier auch bereit bist, Dich in nicht alltägliche Fragestellungen einzufräsen.
Warum sollen denn Volljuristen bessere Karten in der Steuerabteilung einer Grüßkanzlei haben als BWLer? Kann einigen Beiträgen nur Recht geben! Schaut Euch in den Persönlichkeitsprofilen mal die Leute an! Es gibt sehr viele Partner, die nicht Volljuristen sind und deren Schwerpunkt zu 100% im Bereich der steuerlichen Strukturierung und Transaktionsberatung liegt. Und auch als Einsteiger werden BWLer mit sehr guten Abschlussnoten gesucht. I.d.R. ist es doch so, dass gerade der Bereich des Steuerrechts von BWLern deutlich intensiver beackert wird als von den Volljuristen. Ein BWLer mit sehr guten Abschlussnoten und einem einschlägigen Schwerpunkt im Bereich Steuerrecht / Betriebswirtschaftliche Steuerlehre hat m.E. in jedem Fall von dem fachlichen Fundament deutlich bessere Startvoraussetzungen als der Volljurist (auch mit zwei Prädikatsexamina in der Tasche).
In summa bin ich daher der Meinung, dass der Einstieg für BWLer in die Steuerabteilung der Großkanzleien - nicht zuletzt auch wegen der deutlich besseren Gehaltssituation und des Image - durchaus eine sehr interessante Alternative zum Standard-Einstieg in die Big4 sind.
antworten