WiWi Gast schrieb am 15.12.2023:
Zunächst mal, ich bin kein Arzt sondern MINTler :-), ich kenne allerdings den Arztalltag recht gut, daher will ich dir aufzeigen, dass deine, das Gras ist bei den Ärzten grüner als bei uns MINTler, bei genauerer Betrachtung gar nicht grüner ist, sondern an manchen Stellen sogar gelb ist.
Ok, also für die Laien hier: Es gibt doch Kassensitze und die sind Reguliert? Wenn also in Ort XY bereits ein Orthopäde ist, kann sich da nicht einfach ein zweiter Orthopäde hinkommen und dem ersten Orthopäden die Kunden (Patienten) abwerben.
Ja, nur kann der Orthopäde auch nur nach GOÄ abrechnen, da ist also nix mit der großen Kohle, außer du hast jede Menge Patienten und dementsprechend geht es in den Praxen zu wie in einem Taubenschlag und das gilt auch für angestellte Ärzte, denn es ist nicht so, dass du aus deinen Facharzt nach dem KH-Geknüppel und sofort hast du einen Kassensitz. Nein, so einfach ist das nicht, außer natürlich du bist total flexibel und würdest auch in eine Region ziehen, wo kein anderer Arzt hin will.
Bei Privatpatienten wäre das etwas anderes. Mir sind allerdings nur Privatärzte bekannt, die sehr gut sind und zu viel Andrang haben und daher nur noch Privatpatienten nehmen.
Das ist aber sein privates Risiko. Es gibt auch IT-Freelancer, die permanent ausgebucht sind. Verdienen auch gutes Geld ohne Miete und Kosten für die Praxis zu haben.
Die Verdienen dann deutlich mehr als reine Kassenärzte. Auf Kassenebene gibt es aber faktisch keinen freien Markt. Das heißt der Grundverdienst bzw der Grundumsatz ist garantiert.
Nein, der ist nicht garantiert. Wer hat das denn erzählt? Natürlich kann das anhand von der Anzahl Patienten sein, aber die kann schwanken, daher schwankt auch der Umsatz einer Arztpraxis und wie bereits gesagt, da kommt ein Patient nach dem anderen, damit die Kasse klingelt. Teilweise sind die Leistungen pro Patient sehr schlecht bezahlt, daher macht es die Masse.
Und das führt dann eben zu garantierten Nettoeinnahmen von wieviel im Jahr?
Es gibt keine garantierten Einnahmen. Es gibt Kassensitze und wieviel Umsatz du machst ist dein Thema. Kassensitz heißt nach GOÄ abrechnen.
Natürlich - es liegt in der Verantwortung des Arztes, viele Patienten pro Tag abzuarbeiten und das ist vermutlich nicht immer fair/ human/.... Aber abseits dessen sehe ich kein echtes unternehmerisches Risiko, oder?
Wie bereits geschrieben, es gibt keinen vom Staat garantierten Mindestumsatz, daher schwankt der Umsatz und natürlich gibt es Praxen, die platzen aus allen Nähten, aber es gibt auch Praxen, da ist es anders.
Ich bin nicht Arzt geworden, weil mir seit Kleinauf eingetrichtert wurde, wie spannend und toll doch Naturwissenschaften, insbs. Mathe und Physik sind und welch tolle Möglichkeiten man doch damit hat. Man beginnt sein Studium und hängt sich rein, in dem Glauben, mal spannende Dinge zu erforschen/ zu entwickeln. Wenn man dann irgendwann, oft mit Promotion, nach rund 10 Jahren fertig wird, stellt man fest, dass die gesamte Industrie komplett durchökonomisiert ist, Forschung+ Entwicklung in Deutschland möchte sich niemand mehr Leisten, der Großteil arbeitet beim Dienstleister für schlechte Löhne, die spannenden Entwicklungsjobs werden ausgelagert und das non-plus-ultra ist der 40 Stunden IGM 80k Job, wo man zero positiven impact auf die Gesellschaft hat und eigentlich nur noch bürokratischen Bullsh*t-Tätigkeiten nachgeht und "lieferanten Steuert". Leistung lohnt sich garnicht mehr und wenn man in seinem Fachgebiet arbeiten möchte, müsste man eigentlich in die Forschung. Das kann man aber auch nicht machen, weil es dort quasi keine unbefristeten Stellen dort gibt.
Was glaubst du was beim Arzt alles an bürokratischem Aufwand anfällt? Die Medizin ist total durchbürokratisiert und Bürokraten tun sogar über die Arzthonorare entscheiden.
Auch und eine kleine Anektode, ein KH hat einen Chefarzt für eine Abteilung gesucht, genommen wurde derjenige bewerben, der die alten Geräte nicht austauschen wollte und der geringe Gehaltsvorstellungen hatte. Also auch hier ist nicht jedes KH für Innovation offen und bezahlt gut.
Also ja, es ist sicher eine Typfrage. Wenn du der 40 Jährige Familienvater bist, der sich nicht für seinen Job interessiert und eigentlich nur 40 Stunden einen Job machen möchte ohne viel Entwicklungsspielraum und Impact, dann klingt das vielleicht super. Für mich scheint es, als ob der Arztberuf deutlich mehr Möglichkeiten bietet (Finanziell als auch Fachlich/ Moralisch/Gesellschaftlich...auf vielen Ebenen) - vielleicht nicht, wenn man einen 9-5 Job sucht.
Nein, der Arztberuf ermöglicht dir nicht viele Entwicklungsmöglichkeiten. Es gibt das KH, es gibt die Arbeit in den Praxen, dann kannst du noch beim Gesundheitsamt oder als Betriebsarzt (auch selten) arbeiten. Forschung ist auch nur eine kleine Gruppe.
Im KH heißt schön brav Schicht- und Bereitschaftsdienst zu machen und du kannst mal nachfragen, wie Schicht- und Nachtarbeit im steigenden Alter ist. Einige Ärzte haben auch keinen Bock mehr auf Patientenkontakt, was auch verständlich ist, wenn man mal miterlebt hat, was es da für Patienten gibt.
Gut dass du nicht darauf eingehst, dass es für MINTler keinen staatlichen Schutz (eher das Gegenteil gibt).
Als angestellter Arzt kannst du auch gekündigt werden. Da gibt es keinen staatlichen Schutz und wenn du staatlichen Schutz willst, warum bist du dann nicht zum Staat als AG gegangen? Ich habe selbst auf meinen Projekte MINTler, die beim Staat arbeiten kennengelernt. Von denen überarbeitet sich keiner und die sind faktisch unkündbar, selbst wenn sie mit ihrem Chef-Chef sich heftige Diskussionen liefern und ihm vehement widersprechen.
Von daher verstehe ich dein Problem nicht, ein Rundum-sorglos-Paket aus einer 35h Woche mit über 100k und Unkündbarkeit, bei gleichzeitig spannenden Aufgaben gibt es eben nicht. Man kann nicht alles haben, auch die Ärzte nicht, die müssen zig Patienten jeden Tag behandeln um auf ihr Geld mit dem Kassensitz zu kommen.
Auch Fachärzte mit Privatarztpraxis müssen als Assistenzarzt erstmal ranknüppeln, da kommen im OP-Saal Aussagen vom Chefarzt, Pause gibts nicht, nur wenn sie hier umfallen.
Die Praxis muss vom Vorgänger übernommen werden, da muss das Geld da sein und es muss auch eine Praxis frei sein und viele Ärzte wollen eben nicht in die Pampa ziehen, wo es freie Sitze gibt. Daher ist der Arzt erstmal angestellt und darf aber in mancher Praxis trotzdem bis 22:00 Uhr im Dienstbetrieb schuften. Klar, die kriegen ihre 100k+, aber viele IGMler haben Mitte 30 auch ein ordentliches Gehalt, bei weitaus besseren Arbeitsbedingungen.
Kleiner Tipp: Wenn dich das Arztleben so ankotzt, kannst du einfach in einen Pharmakonzern gehen. Die suchen doch händeringend Ärzte. Bessere Bezahlung als IGM und gute WLB gibt es dort auch. Frag mich, warum das so wenige Ärzte machen, wenn doch der Konzernlifestyle angeblich so super ist.
Wie geschrieben bin kein Arzt, sondern MINTler, ich beneide Ärzte aber nicht, weil ich weiss, dass denen auch nichts geschenkt wird und der Arzt mit Kassensitz auch nicht der Selbstläufer ist und es auch keinen staatlich garantierten Umsatz gibt.
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