Re: Bamf Entscheider Überstunden / Mehrarbeit, Samstagsarbeit, Schichtsystem, Gleitzeitkonto
Wow, Du scheinst ja wirklich ein wandelndes Rechtslexikon zu sein (das ist als Kompliment gemeint). In welcher Stadt wirst Du denn eingesetzt?
Lounge Gast schrieb:
antwortenAngeordnete Mehrarbeit ist etwas anderes als Überstunden.
Dass die angeordnete Mehrarbeit von bis zu 40 Stunden im
Monat nach Bundesverordnung über die Gewährung von
Mehrarbeitsvergütung (BMVergV) für die Entscheider/innen mit
19,44 Euro Brutto erfolgt ist nur die konsequente Anwendung
geltenden Rechts.Problematisch ist tatsächlich die Frage der Mitbestimmung des
Personalrates. Nach Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG)
§75 sind, soweit nicht gesetzlich oder tariflich geregelt,
gegebenenfalls Dienstvereinbarungen zwischen Dienststelle und
Personalvertretung abzuschließen, insbesondere über die
tägliche Arbeitszeit, die Verteilung der Arbeitszeit auf die
Wochentage, Urlaubspläne, Festsetzung der zeitlichen Lage des
Erholungsurlaubs etc.Allerdings schränkt §75, (4) ein: "Muss für Gruppen von
Beschäftigten die tägliche Arbeitszeit (Absatz 3 Nr. 1) nach
Erfordernissen, die die Dienststelle nicht voraussehen kann,
unregelmäßig und kurzfristig festgesetzt werden, so
beschränkt sich die Mitbestimmung auf die Grundsätze für die
Aufstellung der Dienstpläne, insbesondere für die Anordnung
von Dienstbereitschaft, Mehrarbeit und Überstunden."Knackpunkt bei der andiskutierten Anordnung von bis zu 40
Stunden monatlicher Mehrarbeit ist also die Frage: Kann die
Dienststelle die Erfordernisse für Mehrarbeit nicht
voraussehen? Wird die Mehrarbeit unregelmäßig oder
kurzfristig angesetzt? Die Beantwortung dieser Fragen ex
negativo führt zwingenderweise zur uneingeschränkten
Mitbestimmung des Personalrates.Eine bundesweite Möglichkeit des BAMF in seinen Dienststellen
durch die Leiter/innen der Dienststelle Mehrarbeit anzuordnen
würde daher meines Erachtens eine Dienstvereinbarung zwischen
Gesamtpersonalrat und BAMF erfordern. Weiß jemand etwas
darüber?Überhaupt, in Sachen Schichtarbeit, Mehrarbeit usw. sind
grundlegende gesetzliche Leitplanken zu beachten:
EU Richtlinie 2003/88/EU: Mindestruhezeit von
zusammenhängend 11 Stunden§3 Arbeitszeitgesetz: Die werktägliche Arbeitszeit der
Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann
auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb
von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im
Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten
werden.TVöD § 7(7): Überstunden sind die auf Anordnung des
Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden,die über die im
Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten für
die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten
Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der
folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.- BAG 29.09.2004 - 5 AZR 559/03:
"Das Mitbestimmungsrecht erfasst nicht nur die Frage, ob
im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet werden soll,
sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen
Schichten und die Abgrenzung des Personenkreises, der
Schichtarbeit zu leisten hat. Mitbestimmungspflichtig ist
auch der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis hin
zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten [?].
Der Betriebsrat hat ferner darüber mitzubestimmen, ob, unter
welchen Voraussetzungen und in welcher Weise von bereits
aufgestellten Schichtplänen abgewichen werden kann. Dies gilt
insbesondere bei Schichtumsetzungen [?]."Solange also in diesem Forum nicht ein Personalrat des BAMF
Angaben darüber machen kann, was als Dienstvereinbarung
abgeschlossen wurde oder wird und was momentan (politische)
Diskussion ohne rechtliche Grundlage ist, sind wir alle
genauso schlau wie vorher...Um mich nicht misszuverstehen: Ich fange selbst nächsten
Monat als Entscheider beim BAMF an, ich weiß worauf ich mich
einlasse, inkl. Mehrarbeit und evtl. Wochenendarbeit. Das
alles ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, fragt lieber
nicht mit wie vielen Stunden die Ehrenamtlichen sich jeden
Tag den Hintern aufreißen, zumal eine Besoldung inkl. Zulage
bis 2018, Zuschlägen für Abend- und Wochenendarbeit (sind
erst im November durch neues Bundesbesoldungsgesetz erhöht
worden) von A9 bis A12 wahrlich kein schlechter Deal ist.Aber eines muss auch gewährleistet sein: Die Einhaltung
geltenden Rechts. Bundesarbeitsgesetz, Bundesurlaubsgesetz,
EU Richtlinie, TVöD usw. sind nicht auf einem anderen
Planeten in einem anderen Land geltende Gesetze. Sich darüber
hinwegzusetzen kann aufgrund der derzeitigen Lage auch nur
kurzfristig begründbar sein, mittel- bis langfristig muss der
Rechtsstaat sich aber auch rechtsstaatlich verhalten. Oder
nach entsprechender politischer Diskussion Gesetze und
Verordnungen ändern. Einstellungen und
Beschäftigungsverhältnisse contra legem kann auch ein
Bundesamt auf Dauer nicht durchziehen.