WiWi Gast schrieb am 27.07.2021:
Typische Aussage vom Manager aufwärts: Arbeitet umsonst, wenn ihr was werden sollt.
Begreift ihr eigentlich, dass wir Absolventen absolut bereit sind was zu leisten, aber wir eben auch dafür entlohnt werden wollen!
Überstunden etc. alles kein Problem, aber die haben dann gebucht zu werden. Was glaubt ihr denn wer ihr seid?
Sollte sich die Empörung jetzt gegen mich richten und nicht nur ein sprachliches Stilmittel sein, vermute ich, dass du mich falsch verstanden hast:
Ich erwarte (als "Manager aufwärts") von niemandem in meinem Team, dass er umsonst arbeitet. Ganz im Gegenteil fordere ich ausdrücklich dazu auf, JEDE Stunde aufzuschreiben. Neben der Überzeugung, dass die Kollegen einen fairen Umgang verdienen, verstehe ich ehrlich gesagt auch diejenigen Manager+ nicht, die anderes fordern.
Kurzfristig mag das nett ausschauen und ggf. Stress mit dem Betriebsrat vermeiden, wenn die Zeitnachweise auch in der Busy Season konstant nur 40 Stunden zeigen. Aber wenn mein Team tatsächlich vielleicht sogar konstant überlastet ist, dann möchte ich das dokumentiert sehen - denn damit gehe ich dann wiederum zu meinem Vorgesetzten und zeige ihm, dass ich dringend mehr Mitarbeiter brauche. Nach oben zu kommunizieren, wie toll doch alles liefe, mag kurzfristig super aussehen, aber spätestens wenn die überlasteten Kollegen dann irgendwann ihre verständliche Kündigung einreichen, hat man ein massives Problem:
Da die Auslastung davor schon am Anschlag war, kann man das Ausscheiden nicht mehr auffangen, aber wirklich kommunizieren kann man diese Problem dann auch nicht mehr - denn angeblich war ja vorher noch alles entspannt. Der Manager+ hat sich selbst in eine Sackgasse manövriert.
...mal ganz davon abgesehen, dass ich auch nicht verstehe, welchen Vorteil es hat den Kollegen Stunden vorzuenthalten. Es ist ja nicht so, dass ich als Manager+ die Überstunden aus meiner Privatkasse zahlen müsste.
Kurz:
Ich halte nichts davon Wahrheiten zu verschleiern und kurzfristig Deckungsbeiträge zu Lasten der realen Performance und zu Lasten meines Teams künstlich zu pushen - ich halte das für asozial, unkollegial, einen schlechten Führungsstil und gönne es jedem, der dies tut, dass eines Tages 5 Kündigungen gleichzeitig auf seinem Tisch liegen und er sein Mandat wegschmeißen kann.
Was ich stattdessen sagen wollte mit der folgenden Aussage:
Ich habe in 7 Jahren Prüfung noch nicht ein einziges Mal erlebt, dass der Betriebsrat Überstunden genehmigt hätte - eine Busy Season gibt es trotzdem auf jedem Mandat. Kurz: Die wichtigsten Treiber sind in der Praxis Gruppendynamik und freiwillige Leistungsbereitschaft.
Wenn man einmal einen Blick in das Arbeitszeitschutzgesetz und interne Betriebsvereinbarungen der Big4 wirft, wird man feststellen, dass der Teamleiter nur wenig Macht hat, irgendetwas einzufordern. Für "Stunden nicht aufschreiben" gibt es keinerlei Basis, für Überstunden bis Mitternacht ebensowenig. Wenn ein Kollege vor einer wichtigen Deadline einen immensen Stundenaufwand investiert, dann tut er dies entweder aus persönlicher Begeisterung/Verantwortungsgefühl oder aus Zwang.
...und diesen "Zwang" verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Warum man sich von einem Hobbydiktator zu irgendwas drängen lässt, was man absolut nicht möchte, wofür man womöglich ("nicht aufschreiben") keinerlei Gegenleistung erhält und wofür jeglich rechtliche Verpflichtung fehlt (ganz im Gegenteil vielleicht sogar ein Verstoß gegen das ArbZG im Raum steht) - das will mir nicht in den Kopf. Warum nicht einfach "Nein!" sagen? Was soll der Manager+ machen? Gewalttätig werden?
Nein, meist ist es letztendlich ein vages Gefühl des Mitarbeiters er MÜSSE das jetzt tun - ohne dass irgendein echter Zwang bestünde. Und solange dies aus Begeisterung für den Job, aus einem respektvollen Zusammenarbeiten resultiert und der Mitarbeiter das Gefühl hat dafür auch Anerkennung und einen fairen Ausgleich zu ernten, finde ich das auch okay.
Aber warum irgendwer ein Klima von Druck und Stress und unfairer Behandlung freiwillig mitmacht, verstehe ich nicht und ich würde mir wünschen, dass diese Kollegen zu ihren Vorgesetzten einfach öfter "Nein!" sagen würden. Solche schwarzen Schafe unter den Managern+ vergraulen gute junge Kollegen aus unserem Berufsstand.
Langer Rede kurzer Sinn:
Wie der konkrete Projektleiter die jungen Kollegen einerseits behandelt, wie die Überstunden- udn Konflikt-Kultur im Team ist und wie sich der einzelne Kollege in diesem Umfeld verhält, steht in keiner Überstundenregelung. Wenn man unterjährig bereits umfangreich Stundenausgleich nehmen kann, ist jegliche Abgeltung potenzieller Überstunden zum Jahresende bedeutungslos und nicht erforderlich.
Wenn man Überstunden überhaupt nicht aufschreibt - warum zur Hölle auch immer man das mitmachen sollte - dann bringt wiederum auch die beste Regel nichts.
Am Ende entscheidet, wie die Regeln gelebt werden.
Und wie man die Regeln selbst lebt, entscheidet am Ende auch jeder selbst. Ich hab immer alle Stunden aufgeschrieben. Wenn euch jemand dazu auffordert Stunden nicht aufzuschreiben, fordert ihn dazu auf, euch diese Anweisung nochmal schriftlich per Mail zu senden - und schickt das dann an seinen Chef mit dem Betriebsrat in CC.
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