WiWi Gast schrieb am 25.11.2020:
Steige demnächst bei OTS ein. Im AV stehen 2080 Arbeitsstunden pro Jahr plus 120 Überstunden für einen Senior. Aber wie wird das denn gelebt?
Bei 46 Arbeitswochen sind das knapp 48h/Woche. Ich arbeite locker 50 Stunden Minimum (eher +55h), was bedeutet, dass ich 92 Stunden übrig habe. Also 11,5 zusätzliche Tage Urlaub. Oder bei 30EUR/h sind das 2760EUR brutto. Also DAS kann ich beim besten Willen nicht glauben...
Das leben die Kollegen unterschiedlich. Ich (Audit, Manager, FSI) lebe das wie folgt:
GJ von Deloitte endet jeweils am 31. Mai. Der Plan mancher Kollegen NACH der Busy Season Überstunden abzubauen, scheitert meist, weil nach der Busy Season in der Regel die weniger priorisierten Prüfung (Non-PIE und schließlich frewillige Prüfungen) folgen, die dann aber auch langsam zeitkritisch sind.
Deshalb baue ich die Überstunden immer vorher ab - gehe also ins Minus. Dies ist bei Deloitte ausdrücklich zulässig. Durch entspannte Arbeitszeiten im Sommer/Herbst, freie Tage auf Freizeitnahme (über Weihnachten zum Besipiel), Freistellungen teilweise auf Freizeitnahme lande ich zum 1.1. in der Regel irgendwo zwischen -50 und Extremfall (Freistellung WP) -200 Stunden. Das arbeite ich dann in der Zeit bis Mai wieder rein.
Zum Jahresende war mein Stundenkonto bislang immer in der Range -25 bis +25. Das Stundenkonto zum Jahresende wird wieder auf Null gesetzt - es sei denn man ist über 100 Stunden (Professional) bzw. 120 (Senior). Keine Ahnung, warum irgendwer Überstunden sammelt, bis die über 100 gehen und er sich dann einbildet, das schlagartig nichts mehr zu tun wäre und man in den Urlaub gehen könnte. Wenn Arbeit da ist, muss die natürlich erledigt werden.
Übrigens hat es in den Jahren, wo mein Stundenkonto zum Jahresende negativ war, auch niemanden gestört, inbesondere nicht meinen direkten Vorgesetzten, dem ich dies so laufend offen kommuniziert habe.
Ihr dürft da auch nicht zu viel Böswilligkeit in den Verfall von 100 bzw. 120 h reininterpretieren. Es geht nicht darum, dass Deloitte 100-120 Gratisarbeitsstunden von euch erwartet. Wie gesagt: Niemand erwartet von euch diese Stunden übrhaupt je vollzumachen. Freitzeitnahme ist generell in Rücksprache mit dem Vorgesetzten IMMER möglich, egal wie euer Stundenkonto gerade steht.
Worum es dem Arbeitgeber mit solche Regeln primär geht, ist die Vermeidung, dass zum Jahresende massive Überstundenkonten im Unternehmen bestehen, für die man im eigenen JA dann Rückstellungen bilden müsste. Die ständig von der GF kommunizierte Vorgabe Urlaub und Überstunden doch bitte frühzeitig abzubauen, wenn das Business es gerade erlaubt, ist ausdrücklich ernst gemeint und hat ebendiesen bilanziellen Grund, neben dem Grund, dass man die belastbare Quote steigern kann, wenn die Kollegen DANN in den Urlaub gehen, wenn es wenig zu tun gibt und nicht erst dann, wenn sie Lust drauf haben Überstunden abzubauen.
Die Urlaubs- und Überstundenrückstellungen, die du auslöst, wenn du für deinen Partner 24/7 durchackerst, mindern über die erforderliche Rückstellung das Jahresergebnis der Gesellschaft und somit den Bonus deines Partners, dem du meinst mit deinen Arbeitszeiten etwas Gutes tun zu müssen.
Kurz:
Aus Arbeitgebersicht solltet ihr dann Überstunden machen, wenn es erforderlich ist und diese frühzeitig abbauen, wenn es möglich ist. Mit einem Überstundenkonto 200+ tut ihr niemandem wirklich einen Gefallen.
Übrigens: Dafür, dass ihr eure Stunden auch ehrlich aufschreibt, seid ihr selbst verantwortlich. Ich weiß es gibt Horrorgeschichten von Kollegen, die ihre Stunden nicht aufschreiben dürfen. Hier einfach mal der Tipp, den entsprechenden Prüfungsleiter zu bitten, euch diese Anweisung schriftlich zu geben. Falls er so blöd ist das zu machen, weist ihn mal mit einem freundlichen Lächeln darauf hin, dass ihr das gerne zur Klärung an den Betriebsrat schicken würdet und ob er ein Problem damit hätte.
Wer nach der Pfeife solcher schwarzen Schafe tanzt ist
- a) selbst schuld und
- b) unkollegial, da er damit den Druck auf die Kollegen verstärkt, sich ebenso zu verhalten
- c) ungeeignet für eine Tätigkeit in der Wirtschaftsprüfung. Wer unter dem strengen Blick eines Hobby-Diktators im Team einknickt, soll erst einmal einem GF gegenüberstehen und ihm erklären, warum man das Testat einschränken möchte. Ein wenig Durchsetzungsvermögen braucht man in unserem Job schon.
Fazit: Plant eure Stunden über das Jahr, schreibt auf, was ihr arbeitet und baut Überstunden frühzeitig ab, BEVOR das Thema 100/120 Stunden überhaupt relevant wird. Eigentlich sollte das eine Ausnahmeregelung sein, die nur relevant wird, wenn überraschende Projekte im Frühling plötzlich die Stunden in die Höhe treiben.
...und dann beendet man eben mal zu Ausgleich das Folgejahr im Stundenminus.
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