Auszug aus der Männer-WG: Das Ende der Gemützlichkeit
Nach der Geburt muss der Mann noch genau zweimal in seinem Leben einen wärmenden, schützenden Schoss verlassen. Das erstemal, wenn er sein Kinderzimmer räumt. Das zweitemal, wenn er seine kuschelig-miefige Junggesellen-WG verlässt, um mit einer Frau zusammenzuleben. Für viele Männer ist dieser Schritt das wahre Geburtstrauma.
Der blaue Müllsack
Fast so wichtig wie der Kasten Bier ist der blaue Müllsack. Er reduziert nicht nur die Gänge zum Container auf einen pro Monat, er garantiert auch, dass der Kontakt zu den Eltern nicht völlig abreisst: Etwa alle sechs bis acht Wochen schleppen WG-Männer ihre Schmutzwäsche in dem von innen feucht beschlagenen blauen Müllsack zu Mama. Denn die Männer-WG hat keine Waschmaschine oder benutzt sie nicht. Das hat nichts mit Faulheit zu tun, ebensowenig wie die diversen Sedimentschichten Schmutzgeschirr.
Physikalische Anomalie und verbale Kommunikation
Vielmehr kommt es in Männer-WGs zu einer physikalischen Anomalie von kosmischen Ausmassen: Das Gesetz, dass Energie nicht verloren gehen kann, wird in jeder Männer-WG tagein, tagaus aufs neue widerlegt. Energie wird hier spurlos abgesaugt, bis selbst der grösste Ehrgeizling seine Aktivitäten darauf beschränkt, eine Kuhle in die Fernsehcouch zu sitzen und ab und zu machen wir morgen und bloss keinen Stress zu nuscheln. Wenn überhaupt, denn nach jahrelangem Zusammenwohnen beschränkt sich die verbale Kommunikation in der Männer-WG zumeist auf verschiedene Intonationen des Koseworts Alter.
Alter ohne Betonung bedeutet: Hallo, wie geht`s, wie war dein Tag?
Alteeer, gedehnt: Ausdruck grosser Begeisterung und Anerkennung, etwa wenn ein Mitglied der WG Pizza geholt hat.
Alter!, nachdrücklich: Du stehst im Bild.
Vorzivilisatorische Zustände
Man merkt schon, in der Männer-WG herrschen vorzivilisatorische Zustände. Viele dort praktizierten Verhaltensweisen sind nur als tiefverwurzelter Aberglaube zu erklären:
- Nie den Klosettdeckel runterklappen, das bringt Unglück!
- Im Stehen pinkeln!
- Die hinteren Regionen des Kühlschranks sind geschützter Lebensraum fur mutierte Nahrungsmittel und fur Menschen tabu!
- Comic-Lektüre erleichtert den Stuhlgang!
Das heikle Thema Toilettenlektüre hat in diesem Zusammenhang besondere Beweiskraft: Wir Männer wollen es uns überall so gemütlich wie möglich machen. Wir werden von einem Nesttrieb gesteuert, wie er in der Tierwelt kein zweites Mal vorkommt. Wir haben den Schrebergarten, die Eckkneipe und die Business-Class erfunden, damit wir es überall schön heimelig haben: in der Kolonie kleine Zuflucht, in Lothi`s Prapelstübchen, in der Executive-Lounge. Und eben in der Männer-WG.
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