WiWi Gast schrieb am 18.10.2021:
Danke für deinen Eindruck. Hast du selbst gedient?
So richtig konkret ist bei mir noch nichts. Interessieren tue ich mich vor allem für das Heer und wie gesagt die Offizierslaufbahn. Ob nun als Fallschirm- oder Gebirgsjäger, weiß ich noch nicht. Aber definitiv Richtung Truppe und nicht IT-Offizier.
Meine größte Befürchtung ist einfach, dass man der Vorstellung erliegt, die Bundeswehr wäre ein spannender Arbeitgeber und am Ende sitzt man als Offizier doch nur wie im öffentlichen Dienst am Schreibtisch für ein moderates Gehalt. Später mit steigender Karriere ist das in Ordnung, aber zu Beginn nicht. Von Bekannten, die noch in die Wehrpflicht fielen, habe ich leider schon oft gehört, dass man nach der GA nur in der Stube sitzt und Abends mit den Kollegen trinkt. Das wäre leider gar nichts für mich.
Weiterhin interessiert mich, ob die Aufstiegschancen wirklich gut sind, wenn man Leistung bringt. Ich habe im Bundeswehr Forum mal gelesen, dass sich 10 auf 1 Berufsoff. Stelle bewerben. Was gibt es da für Kriterien? Ähnlich irrational wie in der Wirtschaft oder gibt es da ein Punktesystem an dem sich orientiert wird? Wie qualifiziert man sich für die Generalstabsausbildung? Ich frage mich auch, ob die Bundeswehr sich überhaupt lohnt. Die ganze Institution ist ja doch sehr abhängig von der Politik. Ständig hört man davon, dass Stellen gestrichen werden. Wird sich das mit Blick auf die Geopolitik der USA ändern? Europa spricht ja davon unabhängiger zu werden. Dementsprechend müsste man das nationale Militär stärken.
Und kannst du noch etwas zum Klima innerhalb der Bundeswehr bzw. der Offizieren sagen? Ist das mit der gepriesenen Kameradschaft wirklich so oder mehr Mythos als Realität?
LG
Ja, ich war selber 12 Jahre dabei
Bei der Wahl des Werdegangs muss man halt auch die mögliche Zeit nach der Bundeswehr im Blick haben. Infanterie ist zwar cool, wenn man in jungen Jahren mit dem Messer zwischen den Zähnen durch den Wald laufen will, aber es gibt definitiv bessere Verwendungen, wenn man sich auch ein Profil für die Zeit nach der Bundeswehr aufbauen will. Da ist man als IT'ler oder Logistiker schon eher gefragt, insbesondere wenn man dann noch ein einschlägiges Studium vorweisen kann. Das heißt natürlich nicht, dass die Infanteristen keine Chancen haben... andere haben halt nur Bessere.
Also, offen und ehrlich: Als Offizier ist man Manager und sitzt in der Regel (!) hauptsächlich am Schreibtisch. Das hat dann immer noch nichts mit Verwaltung zu tun, aber wenn man nen praktischen Alltag haben möchte, muss man halt Feldwebel oder Mannschafter werden. Ja, auch als Offizier kommt man raus, aber eben nicht so oft, als dass man seine Berufswahl darauf stützen sollte. Und natürlich, bei der Infanterie ist man auch als Offizier öfter an den frischen Luft, als in anderen Truppengattungen.
Übrigens, dass man als Offizier nur moderat verdient, ist ein Märchen. Ich empfehle hier nen Vergleich zwischen den Netto- (!!!!) Gehältern über die einschlägigen Besoldungs- und Gehaltsrechner, dann sieht man sehr schnell, dass man nach drei Jahren Offizierausbilddung erstens einen kummulierten Gehaltsvorsprung von etwa 80k netto hat, da man vom ersten Tag an ein volles Gehalt verdient. Nach drei Jahren ist man Leutnant A9 und kriegt 2600€ netto, zivile Masterstudenten noch zwei Jahre Uni vor sich haben und beispielsweise bei einem Einstieg bei Big4 mit etwa 2400 - 2600€ netto (~45 - 50k) rechnen können.
Danach steigt dein Gehalt sukzessive an, während man auch für Familie mehr Geld bekommt: Nach 12 Jahren kann man als Hauptmann A11, verheiratet, ein Kind, mit bis zu 3700€ netto rechnen, was zivil einem Jahresbrutto von ca. 65k entspricht. Und ja, wer zivil nach dem Masterstudium binnen sechs Jahren "non-MBB" Manager wird, der verdient im selben Zeitraum etwa 75k fix, ABER....
... dafür zahlt die Bundeswehr dir nach den 12 Jahren für zwei Jahre einen hohen Prozentsatz deines letzten Gehalts weiter, du hast somit ein doppeltes Einkommen, und du kriegst ein severance package mit 15k Schulungskostenübernahme + kostenloser interner Fortbildungen, was in meinem Fall nochmal etwa 10k an Zertifikatskursen abgedeckt hat.
Meine Erfahrung, auch im Vergleich mit dem zivilen Freundeskreis, ist, dass zivile Arbeitnehmer mit "guten" Jobs erst in den letzten beiden Dienstjahren gehaltlich an dir vorbeiziehen werden. Wenn du dann im Zivilleben ankommst, verdient du erstmal zwei Jahre lang wieder deutlich mehr als die, danach hast du in der Regel den ersten deutlichen Karrieresprung gemacht und bist wieder gleichauf. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Übrigens: Für Auslandseinsätze gibt es Gefahrenzulage in fünfstelliger Höhe, für Pendler gibt es Trennungsgeld etc. Dafür hab ich jetzt beim Vergleich mit zivilen Arbeitnehmern keine variablen Anteile Berücksichtigt. Überstunden gibts bei der Bundeswehr aber nur in Ausnahmefällen.
Quote der BS Bewerbungen auf offene Stellen kann vielleicht sein, schwankt aber innerhalb der Truppengattungen nochmal enorm. Beispiel: Sehr viele Infanteristen wollen BS werden. Liegt vielleicht auch daran, dass manchen von denen irgendwann dämmert, dass ihre Berufswahl sich zivil nicht soooo gut vermarkten lässt. Demgegenüber sind gut IT'ler auch bei der Bundeswehr Mangelware, sodass sie aktuell sehr gute Übernahmechancen zum BS haben und teilweise sogar Weiterverpflichtungsprämien in fünfstelliger Höhe bezahlt werden oder wurden. Die Leute wissen aber auch, dass ihnen auf dem zivilen Arbeitsmarkt attraktive Gehälter winken.
Bewertungskriterien sind zweijährige formalisierte Beurteilungen, in denen man vom Chef in diversen Kategorien mit Noten/Punkten bewertet wird und der Chefchef ne Stellungnahme dazu abgibt. Dazu werden natürlich die hard facts berücksichtigt, also ob du brav deine jährlich zu bringenden Leistungen (Marsch, Sport, Schießen usw) erfüllst, ein Studium vorweisen kannst, die medizinische Untersuchung bestehst. Für die Generalstabsausbildung qualifiziert man sich, indem man in diesen Beurteilungsrunden konsequent zur bestbewerteten Kohorte gehört und die Vorgesetzten dazu bringt, die Eignung für diese Laufbahn auszusprechen.
Lohnt sich die Bundeswehr? Keine Ahnung? Aktuell erfährt sie angesichts der geopolitische Lage wieder einen Zuwachs an Bedeutung, gleichzeitig ist aber die größte und wichtigste Einsatzverpflichtung (Afghanistan), ja vor Kurzem weggefallen. Die traurige Wahrheit bei Sicherheitsbehörden ist die, dass dir niemand sagen kann, was in 5, 10, 15 Jahren sein wird. Das gilt aber auch für den zivilen Arbeitsmarkt. Frag mal reine Maschinenbauingenieure, wie gut ihre Jobaussichten aktuell trotz MINT Studium sind.
Zum Klima: Ja, Kameradschaft gibt es, aber von den älteren Kameraden hat man oft gehört, dass das in den letzten Jahrzehnten nochmal abgenommen hat. Früher saßen die Soldaten, auch die Offiziere, noch viel länger "aufeinander" bei gemeinsamen Übungen oder einfach so nach Dienst im Kasernenbetrieb. Heute wohnt man eher außerhalb der Kaserne, pendelt am Wochenende immer nach Hause usw. Ich persönlich würde das ganze jetzt nicht übermäßig romantisieren wollen. Es ist halt ein Beruf, der sich in manchen Aspekten vom zivilen Arbeitsleben unterscheidet. Kameradschaft ist da auch heute noch ein Thema, in den Kampftruppen sicherlich auch mehr, als bei den Kampfunterstützern, aber wenn man nur deshalb zum Bund will, könnte es sein, dass man enttäuscht wird.
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