Lieber TE,
im vorliegenden Sachverhalt haben wir eine recht komplizierte Gemengelage, die fast alle Argumentationen zulässt. Da es dir vermutlich nicht um grundsätzliche Rechtsfragen, sondern vielmehr nur die reibungslose Veranlagung deiner Steuererklärung geht, beziehe ich mich in meinen Ausführungen vorwiegend auf Verwaltungsanweisungen. Außerdem unterstelle ich, dass in sämtlichen Fällen eine eigene "Wohnung" im Sinne steuerlicher Vorschriften besteht. Solltest du hingegen mit Ausführungen wie "Eigene Wohnung bei den Eltern" (aka Kinderzimmer) aufwarten, haben wir ganz andere Probleme als unten geschildert.
Zunächst ist zu klären, ob dein bisheriger Wohnsitz nicht bereits am Beschäftigungsort belegen ist. Dies würde eine doppelte Haushaltsführung grundsätzlich ausschließen. "Eine Hauptwohnung i. S. d. § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 Satz 2 EStG ist am Ort der ersten Tätigkeitsstätte belegen, wenn der Steuerpflichtige von dieser Wohnung seine erste Tätigkeitsstätte in zumutbarer Weise täglich erreichen kann. Eine Fahrzeit von bis zu einer Stunde je Wegstrecke unter Zugrundelegung individueller Verkehrsverbindungen und Wegezeiten kann in der Regel als zumutbar angesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2017)." -> Dies wäre hier erfüllt und ggf. beruft sich das FA hierauf. Hiergegen kannst du/man jedoch einwenden, dass deine Fahrzeit "unter Zugrundelegung individueller Verkehrsverbindungen" mehr als eine Stunde beträgt. Weiterhin schreibt das BMF weiter: Aus Vereinfachungsgründen ist davon auszugehen, dass sich die Hauptwohnung außerhalb des Ortes der ersten Tätigkeitsstätte befindet, wenn die Entfernung mehr als 50 km beträgt. -> Liegt hier vor. Daher wäre das 1. Kriterium erfüllt.
Als nächstes müsste die Zweitwohnung am Ort der ersten Tätigkeitsstätte liegen. Dies ist aus Vereinfachungsgründen gegeben, wenn die Entfernung weniger als 50 km beträgt. -> Liegt bei uns nicht vor. "Liegt die Zweitwohnung mehr als 50 km von dem Ort der ersten Tätigkeitsstätte entfernt, ist zu prüfen, ob die erste Tätigkeitsstätte von der Zweitwohnung oder -unterkunft noch in zumutbarer Weise täglich erreicht werden kann. Eine Fahrzeit von bis zu einer Stunde je Wegstrecke unter Zugrundelegung individueller Verkehrsverbindungen und Wegezeiten ist dabei als zumutbar anzusehen (BFH-Urteil vom 19. April 2012)." Dies liegt lt. deinen Aussagen hier vor (40 Minuten Reisezeit).
Als 3. Kriterium müsste die berufliche Veranlassung der Zeitwohnung nachgewiesen werden. "Das ist insbesondere der Fall, wenn dadurch die Fahrtstrecke oder Fahrzeit zur ersten Tätigkeitsstätte wesentlich verkürzt wird. Aus Vereinfachungsgründen kann von einer beruflichen Veranlassung des Beziehens der Zweitwohnung oder -unterkunft ausgegangen werden, wenn die kürzeste Straßenverbindung von der Zweitwohnung oder -unterkunft zur ersten Tätigkeitsstätte weniger als die Hälfte der kürzesten Straßenverbindung zwischen der Hauptwohnung (Mittelpunkt der Lebensinteressen) und der ersten Tätigkeitsstätte beträgt [liegt hier nicht vor] oder die Fahrzeit zur ersten Tätigkeitsstätte für eine Wegstrecke halbiert wird." -> Insb. der letztere Passus ist lt. deinen Aussagen ja erfüllt. Daher wäre auch dieses Kriterium erfüllt und die doppelte Haushaltsführung grundsätzlich anzuerkennen. Du musst dies nun lediglich noch durch geeignete Unterlagen nachweisen können, dann sollte deiner Veranlagung nichts im Wege stehen (im Zweifel auch über einen Rechtsbehelf).
Liebe Grüße
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