Der erste Marathon
Das lockere und leichte Laufen, das reich, glücklich und klug macht. Hier schien der neue Meilenstein für mein Leben zu liegen.
Kommt jetzt eigentlich Kilometer 31?
Einige Minuten später die Enttäuschung. Doch erst 30. Ich gehe einige Meter. An der nächsten Wasserstelle gehe ich wieder einige Meter. Das Trinken im Laufen habe ich schon lange eingestellt. Neben mir geht ein älterer Herr um die sechzig und meint: Ja, ja, die letzten 10 sind immer die härtesten, und trabt wieder los. Hat der eben wirklich 10 gesagt? Ich starte wieder durch. Ich bin mittlerweile fast bei Pisspottgeschwindigkeit angelangt. Immer einen Fuß vor den anderen. Egal. Dafür nehme ich mir vor, den nächsten Kilometer durchzulaufen. Es kommt mir wie Stunden vor, bis das nächste Kilometerschild am Horizont auftaucht. Zwei Frauen feuern uns an und rufen ein gut gemeintes: Weiter so, nur noch neun Kilometer! Ich bin kurz davor, den beiden ins Gesicht zu springen. Haben die wirklich neun gesagt? Ich weiß nicht mal, ob ich noch bis 34 weitermachen soll. Kilometer 34. Ich gehe wieder ein paar Meter.
Mittlerweile werde ich pro Sekunde von 20 Leuten überholt
Muss wohl wirklich weit vorne gewesen sein. Am Rand der Straße geht ein anderer ebenfalls. Wir schauen uns mit diesem wissenden Blick an und müssen beide lachen. Ich denke mir: So schnell läufst du keinen Marathon mehr. So geht das nicht weiter. Ich nehme mir an der nächsten Tränke einen Becher Wasser, einen Becher Tee, einen Becher Cola und humple zum Bordstein. Ich setze mich und beobachte die ankommenden Leidensgenossen. Die meisten stehen noch mehr ab als ich. Also wenn die noch durchhalten, dann schaffe ich das auch. Anscheinend kommt jetzt die Phase mit der Willenskraft. Ich beobachte noch, wie sich einige kaltes Wasser über Kopf, Rücken und Arme gießen. Na, das werde ich auch mal testen. Der Schock des kalten Wassers setzt neue Kräfte in mir frei. Ich laufe etwa 500 Meter und gehe dann um die nächste Kurve.
Eine Strategie muss her
Ich beginne bis hundert zu zählen. Bei hundert ist noch nicht einmal das nächste Kilometerschild in Sicht. Ich zähle noch einmal. Bei 60 kommt das nächste Schild. Irgendwie ratlos zähle ich einfach weiter und halte mein Tempo. Die nächsten 3 Kilometer zähle ich immer wieder von vorne los. Vor mir geht ein Typ in meinem Alter. Sieht ziemlich sportlich aus. Ich überhole! Ich halte mittlerweile mein Tempo und bin schon länger nicht mehr gegangen. Kilometer 38. Ich ahne, dass mich jetzt nichts mehr aufhalten kann. Ich versuche noch ein letztes Mal in meinen leicht- lockeren Dr.-Strunz-Ballenlauf zurückzukehren, doch nach drei Schritten weist mich meine Lunge in die Schranken.
Wie man sich auf den letzten Metern so fühlt?
Hatte mich schon immer gefragt, wie man sich auf den letzten Metern so fühlt. Ohne irgend jemandem die Überraschung verderben zu wollen, das Ganze erinnert an eine Mischung aus Grippe und Lungenentzündung. Zumindest stelle ich mir eine Lungenentzündung so vor. Ich kann nur noch relativ flach atmen. Aber egal. Immmmmmmmmmmer weitermachen!
... der Apfel kommt mir vor wie das Leckerste der Welt
Endlich ist die Ziellinie in Sicht. Die Uhr zeigt 4:31. Ich lege einen Spurt ein und schaffe es, bevor die Ziffern wieder umspringen. Jemand hängt mir eine Medaille um den Hals. Ich stehe plötzlich zwischen tausenden Fremden auf der Domplattform. Ich bin ein kleines bisschen stolz und gehe mit einem breiten Grinsen zum Obststand. Der Apfel kommt mir vor wie das Leckerste der Welt.