WiWi Gast schrieb am 27.01.2024:
Hallo,
ich bin vor kurzem auf dieses Forum gestoßen und würde mir gerne einige Antworten auf meine Fragen zum Jurastudium wünschen.
Kurz zu mir: Ich mache derzeit mein Abitur (voraussichtlicher Schnitt: 1,2-1,1) und belege die Leistungskurse Mathematik und Politik & Wirtschaft (in beiden 15 Punkte). Meine Interessen liegen insbesondere im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, vor allem in Politik, Geschichte und Philosophie, aber auch in Wirtschaft und Finanzen. Meine Fähigkeiten liegen besonders im (mathematisch) analytischen sowie sprachlichen und eher weniger im kreativen Bereich.
Nichts davon wird in Jura-Studium gebraucht, außer die sprachlichen Fähigkeiten, obwohl das relativ ist, da man eher kurze, einfache Sätze schreiben sollte, als hier irgendwelche Romane. Kreativität ("juristische Kreativität, v.a. bei Begründungen z.B. Verwaltungsrecht) dagegen schon eher. Der Großteil der Jura-Studies ist unkreativ, das glaubt man nicht.
Fragen:
- Inwieweit decken sich meine Interessen mit dem Jurastudium?
Sie oben.
- Welche Fähigkeiten braucht man für ein erfolgreiches Jurastudium und stimmen meine damit überein?
Viel lesen können. Gut lesen können. Verstehen was man liest. Ich lese ca. 2-3 mal so schnell wie der Durchschnittsmensch, hat mir das ganze Studium deutlich erleichtert.
- Wie sehen die Verdienst- und Berufsaussichten nach der Ausbildung zum Volljuristen aus, insbesondere im Vergleich zu anderen Studiengängen wie BWL oder MINT?
Jura ist, was ich als "Freiberufler"-Studiengang bezeichne (vgl dazu Medizin). Die Gehälter im ÖD (Richter, Staatsanwalt) kann sich jeder selbst raussuchen. Sofern du im 1. und 2. Staatsexamen 9 Punkte schaffst, gehst zur Großkanzlei, die zahlen auch gut und gerne 150k. Das hält man meistens aber keine 3-4 Jahre durch. Sofern du dich als RA selbstständig machst, bis du deines Glückes Schmied. Der durchschnittliche RA macht 70k Umsatz. Kurz gesagt, ist wahrscheinlich etwas über Mindestlohn nach abzüglich aller kosten. Der Großteil der RAs sind halt keine Unternehmer, aber was bleibt einem übrig, wenn man die 9 Punkte nicht schafft? Naja, einen Job findet man als Jurist grundsätzlich immer, als angestellter Volljurist sind 60k+ in vielen Unternehmen drin (am Anfang). Aufstieg und Karriere hängt wie immer - von dir selbst ab. BWL lernst du nichts wirklich was, da kommt's auf die Branche an, wo du hingehst. MINT ist in Deutschland ein totes Pferd.
- Ist die Bewertung des Staatsexamen wirklich so willkürlich und glücksabhängig, wie man hört? Ist die Examensnote wirklich alleinentscheidend für die Karriere?
Nein. Wir Korrektoren würfeln die Noten doch nicht. Der Großteil der Leute lernt falsch. Die versuchen sich Gesetze auswendig zu lernen oder irgendwelche Mindermeinungen und Theorien, die keinen Schwanz interessieren. Ich hab schon selbst Klausuren zur Korrektur gehabt, da wurde in der Falllösung angefangen zu debattieren, ob es sich jetzt hier um ein Angebot/Annahme oder um die Lehre vom sozialtypischen Verhalten handelt (ich weiß, verstehst du nicht, aber genau so einen Blödsinn ließt man noch teilweise im 1. Staatsexamen. Ich denke mir nur, hat die Person die letzten 5 Jahre nichts gelernt? Warum ist sie hier?). Das 1 Staatsexamen prüft nur Grundlagen. Da musst du die AT-Teile lernen und können bis zum Abwinken. Die BT-Teile ergeben sich ohnehin aus dem Gesetz, aber die können alle die AT-Teile nicht richtig und gehen dann ins Examen, und wundern sich, wenn's am Ende 4 Punkte gerade so werden. Spezial-Wissen ist regelmäßig unbedeutend. Jedes Jahr werden Millionen von Urteilen gefällt, die meisten sogar noch am Tag der Verhandlung. Die Richter und Staatsanwälte nutzen grundsätzlich nur die AT-Lehren plus den Gesetzestext. Wir sind hier nicht wie im Common Law, wo es auf Urteile ankommt. Ist übrigens auch der Grund, weshalb man zum gleichen Sachverhalt verschiedene Urtiele haben kann (!).
- Zu guter Letzt würdet Ihr das Jurastudium weiterempfehlen?
Ja, jederzeit. Aber nicht als Vollzeitstudium an der Uni, sondern eine Kombination aus Kanzleiarbeit + LL.B. / EJP an der Fernuni Hagen. Erstens lernst du direkt mit und von Anwälten und nicht mit irgendwelchen Köpfchen, die noch weniger haben als du. Zweitens, ist das Studium ohnehin quasi ein Fernstudium, weil du dir viel Wissen und Technik selbst beibringen musst. Und wie gesagt, viel lesen. Wer nicht gerne ließt, ist im falschen Studium und Beruf. Wer sich alles erklären lassen muss, ist da völlig falsch. Sowohl fachlich als auch intellektuell. Dann lieber was anderes studieren. Ist übrigens auch der Grund, weshalb die 9 Punkte von den GKs gefordert werden. Ein 9+ Punkte Anwalt versteht meistens auch neue Gesetze ohne Probleme bzw. neue Themen und kann diese Einordnen. Einem 4 Punkte Anwalt muss man oft erstmal erklären, was das neue Gesetz überhaupt bedeutet, weil es eigentlich an den Grundlagen fehlt und er ggfs. das Gesetz falsch oder gar nicht einschätzen kann.
Sorry für die vielen Fragen! Ich bin für jede Antwort sehr dankbar.
PS: Kauf dir ein Fallbuch (BGB AT, Schuldrecht AT oder Strafrecht AT) und speziell kein Lehrbuch. Arbeite das durch und schau, ob dir das liegt. Fallbücher sind 90% des Studiums. Du solltest quasi 3 Jahre lang nichts anderes machen als Fälle lösen. Dann schaffst die min. 9 Punkte im 1. Examen auch locker...
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