Bewerbung als Sachbearbeiter für einen europäischen Telekommunikationsdienstleister
Für die Niederlassung in der Berliner Lützowstr. hatte ein europäischer Telekommunikationsdienstleister eine Stellenanzeige als kaufm. Sachbearbeiter ausgeschrieben.
Ich bewarb mich und wurde kurzerhand in die Berliner Lützowstr. zum VG eingeladen. Da ich etwas zu früh war, ging ich in die Kantine in das EG und labte mich an einer Tasse Kaffee. In der Kantine bemerkte ich ein lautstarke Diskussion und ein Handgemenge. Ein jüngerer Mann rempelte einen Gast in der Kantine an und versuchte ihm einen Gegenstand zu entwenden. Beide brüllten. Der Rempler entpuppte sich als Hausmeister, welcher dem Gast eine Kamera aus der Hand zu reißen versuchte. Der Gast hatte vom Gebäude Fotos erstellt, wie ich dem Gebrüll des Hausmeisters entnahm, war dies wohl verboten. Ein Großteil der Unternehmen im Bürohaus würde sich in rechtlichen Grauzonen bewegen, da seien Fotos unerwünscht, so die Ausführungen des Hausmeisters. Der Gast verfügte über die größeren Körperkräfte als der Hausmeister, welchen es nicht gelang dem die Kamera zu entwenden. Beide einigten sich darauf, dass der Gast die Bilder vom der Speicherkarte löschen sollte.
Kurz darauf betrat ich das Bürogebäude und fuhr mit dem Lift in die oberen Stockwerke. Dort befand sich das Bewerberabfertigungsmanagement, welches von drei kurzberockten Damen geleitet wurde. Neben mir waren etwa 25 weitere Bewerber eingeladen.
Ich hatte den Eindruck, dass an vier Tagen die Woche, über das gesamte Jahr verteilt, Bewerber ?durchgeschleust? wurden.
Den ersten Teil des Bewerberabfertigungsmanagements stellte ein Unternehmenssprecher anhand einer PowerPoint-Präsentation das Unternehmen vor. Das Aufgabenfeld sei der Telefonverkauf von Haustierversicherungen und Zeitschriftenabos an E-Plus Kunden. Ein Großteil der Bewerber reagierte sehr empört, da sie sich als kaufmännische Sachbearbeiter beworben hätten. Die Arbeit als Telefonverkäufer im Outbound sei das allerletzte, so der Tenor der Bewerber. Der Referent erklärte, dass würde immer so gemacht werden würde, in den Stellenanzeigen werden kaufmännische Sachbearbeiter ausgeschrieben, gesucht werden aber Call-Center-Agenten.
Ein Großteil Bewerber tippten sich mit dem Finger an die Stirn, stand schimpfend auf und verließ kopfschüttelnd die Präsentation. Etwa 10 Bewerber waren noch anwesend, als der Referent auf den Verdienst einging. Der lag zwischen 6,50 EUR und 8,50 EUR pro Stunde bei einer 20 ? 30 Stunden Woche und sei projektabhängig. Weiterhin gäbe es noch tolle Incentives wie Kinogutscheine, Tankgutscheine, frisches Obst im Pausenraum, Lebensmittelmarken für Fast Food, etc.
Ein Bewerber fragte, wie viel man denn Unternehmenssprecher für das Bewerberabfertigungs-management verdienen würde. Der Unternehmenssprecher winkte traurig ab. Das würde sich nicht lohnen, da gäbe es nur wenige Cent auf den schmalen Stundenlohn obendrauf, er würde das bloß machen, weil er dann nicht telefonieren müsse.
Kurz darauf sollten die Bewerber Personalbögen mit Kontonummer, Bankverbindung und weiteren sensiblen Daten ausfüllen. Weiterhin wurde nach der Religionszugehörigkeit gefragt (ob Mormone, Zeuge Jehovas, etc.) Eine Bewerberin erklärte, dass die Frage nach der Religionszugehörigkeit eine unzulässige Frage sei. Die Mitarbeiterin, welche das Ausfüllen der Personalfragebögen beaufsichtigte, erklärte das Telefonverkauf Lügen sei und Lügen sei Telefonverkauf. Die Call-Center-Agents müssten sich als Mitarbeiter verschiedener Unternehmen ausgeben und Produkterläuterungen abgeben, welche mit der Realität nicht übereinstimmten. Gerade Angehörige christlicher Religionen hätten mit dem Lügen ein Problem. Eine Dame outete sich als Zeugin Jehovas, erklärte dass sie nicht lügen wolle und verließ die Veranstaltung.
Nach dem Ausfüllen der Personalfragebögen wurde die Gruppe geteilt, der erste Teil sollte Probetelefonverkauf durchführen, der zweite Teil sollte im Pausenraum warten.
Da ich zur Pausenraumgruppe gehörte, wanderte ich zum Pausenraum und zapfte mir dort für 0,40 EUR einen Becher Kaffee. Das Obst im Pausenraum war nicht mehr frisch, sondern schon einige Tage alt. Um die braunen Stellen der Äpfel und Bananen kreisten Fruchtfliegen.
Andere Call-Center-Agents kamen hinzu und begannen mit den Bewerbern zu kommunizieren. Die Bewerber fragten, wie den CCAs mit dem geringen Einkommen klarkommen. Diese erklärten, dass es aufstockendes HARTZ IV gäbe, empfahlen die Berliner Lebensmitteltafel für Bedürftige, die Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoo wo Arme günstig Einrichtungsgegenstände abfassen können. Außerdem könne man mit den Stunden auf 20 h heruntergehen, so dass der Call-Center-Agent-Job bloß als Alibi für die SV dienen würde, den Rest der Zeit könne man dann für die Erzielung eines existenzsichernden Einkommens nutzen. Andere CCAs erklären, dass sie sowie bald aus dem Unternehmen abhauen würden. Die Fluktuation sei in der Branche enorm.
Dann wurde ich zum Probetelefonverkauf eingeladen und nahm in einer Telefonbox in einem Großraumbüro Platz. Als ich zuvor fragte, ob ich einige Fotos erstellen dürfe, reagierte die Mitarbeiterin hysterisch. Fotos seien GRUNDSÄTZLICH verboten!
Beim Probetelefonverkauf (am anderen Ende der Leitung befand sich ein sogenannter ?Teamleiter? ein arrogant auftretender, näselnder junge Mann) welchen ein Zeitschriftenabo andrehen sollte.
Ich hatte mir vorher einen Gesprächsleitfaden erstellt und offerierte mein Zeitschriftenabo.
Nach dem Probetelefonverkauf gab es ein Feedbackgespräch, der arrogant wirkende junge Mann näselte dabei unverständliches. Eine Mitarbeiterin übersetzte das Näseln, der ?Teamleiter? wollte wissen wie viel Zeit ich in den Job als Call-Center-Agent aufwende wolle. Ich antwortete, dass ich so wenig wie möglich meiner kostbaren Arbeitszeit dafür aufwenden wolle. Der junge Mann näselte unverständliches, die Mitarbeiterin übersetzte, dass ich vom Unternehmen Bescheid bekommen würde.
Ich verabschiedete mich und verließ das Gebäude. Etwa 10 Tage später erhielt ich einen Textbaustein mit einer Absage, darin befand sich der Hinweis, dass ich es gern noch einmal mit einem VG versuchen sollte. Dies habe ich aber nicht mehr wahrgenommen.
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