Die bisherigen Kommentare wundern mich. Natürlich ist der beschriebene Lebenslauf respektabel und nicht schlecht. Der Weg von der Realschule zum Master gelingt beiweitem nicht jedem, und "namhafte" und "sinnvolle" Praktika (zumindest nennt der Threadersteller sie so) sind per Definition auch nicht sinnlos.
Trotzdem ist es ganz offensichtlich ein Nachteil, erst mit 29 oder 30 Jahren das Studium abzuschließen, denn andere Mitarbeiter haben in diesem Alter bereits 5 Jahre Berufserfahrung. Wer in diesem Alter seinen Einstieg hat, der erreicht bestimmte Karriereziele später als andere. Ob es dann direkt "Konflikte" sind, wenn man mit 35 einen 28jährigen Chef bekommt, muss jeder selbst wissen. Der Chef hat damit sicherlich keine Probleme, aber vielleicht der Mitarbeiter. Ich glaube nicht, dass irgend jemand hier im Forum freiwillig (!) einen derart späten Einstieg versuchen würde, wenn es ihm auch 3-4 Jahre früher gelingen kann. Die Aussage "Damit steckst jeden 21jährigen Bachelor in die Tasche" ist ein schlechter Scherz, da ich als 29-jähriger Einsteiger hoffentlich nicht die 21-jährigen Einsteiger als Messlatte sehe. Der 21jährige kann sich gut und gerne 10 Jahre Zeit bis zur ersten Führungsaufgabe lassen, der 30jährige steht da unter einem ganz anderen Druck (oder willst Du mit 40 immer noch einen ganz normalen Job ohne Verantwortung haben?) bzw. setzt er sich selbst unter einen solchen. Auch finanziell ist der späte Einstieg nachteilig, denn man "hinkt" gleichaltrigen hinterher. Wem das egal ist, Glückwunsch. Wenn ich überlege, welche Berufserfahrung ich mit 29 Jahren bereits hatte, dann möchte ich rückblickend in diesem Alter kein Anfänger sein.
Bis hierhin also Fazit: Ja, es ist ein Nachteil, und zwar in vielerlei Hinsicht.
Die Fragen sind
a) inwiefern Du aus Deinem Alter und dem bisherigen Werdegang gewisse Vorteile ziehen kannst, um die Nachteile zu kompensieren
b) ob Arbeitgeber dich trotzdem einstellen
c) wie Du gegenüber jüngeren Einsteigern aufholen kannst bzw. ib Du das überhaupt willst.
Zu a) Natürlich ist eine größere Reife vorhanden, wenn man 10 Jahre älter ist. Diese Reife ist oft aber auch mit einer gerineren Lerngeschwindigkeit, höheren Ansprüchen an Inhalt und Anspruch der Tätigkeit sowie den zwischenmenschlichen Umgang, Freiheitsgrade in der Führung etc. verbunden, unterm Strich: Du bist als Mitarbeiter weniger leicht zu führen. Ich würde versuchen, aus der höheren Reife Vorteile zu ziehen im Auftritt, im Tonfall, in der gesamten Erscheinung meiner Person. Jüngere Menschen haben im Fremdbild oft den Vorteil einer hohen Dynamik, Draufgängertum, Mut etc. Ältere können dafür Struktur, Besonnenheit, emotionale Stabilität, Seniorität etc. einbringen. Versuche, diese Stärke auszuspielen.
b) Ja, es gibt Arbeitgeber, die dich auch mit 30 noch einstellen. In Berufen mit Chemikern, Ingenieuren etc. werden viele Einsteiger auch heute nicht viel früher fertig, v.a. wenn sie eine Promotion ablegen. Je anspruchsvoller Dein Umfeld akademisch ist, desto älter sind normalerweise die Einsteiger. Mein Tipp: Orientiere dich an Firmen, die mit komplexer Technologie, schwieriger Gesetzgebung, großen Investitionen etc. zu tun haben, da sind die Menschen im Schnitt älter.
c) Du musst selbst wissen, welche Ansprüche Du gehaltlich an Deine Karriere stellst und in welchen Schritten Du Verantwortung bekommen willst. Am besten bist Du bei Deinem Arbeitgeber kein Exot, sondern ein Normalfall. Suche dir ein Umfeld, in denen Seniorität, Alter, Auftrittssicherheit etc. wichtiger sind als kurzfristiges, jugendliches und dynamisches Denken. Dann sollte das Alter nicht unbedingt ein Nachteil sein.
Viel Erfolg!
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