Arbeitsbelastung im Berufsfeld Steuern / Rechnungswesen
Ich habe BWL mit dem Schwerpunkt Steuern / Rechnungswesen studiert und war im Beruf, was die Arbeitsinhalte angeht, immer glücklich mit dieser Wahl. Ich würde auch nach 15 Jahren nichts anderes machen wollen. Was allerdings für mich bisher nirgendwo so richtig gut gepasst hat, war das Gesamtpaket aus Vergütung, Arbeitsbelastung und Arbeitszeiten.
Ich bin nicht karriereorientiert und lege keinen Wert auf hohes Gehalt, Status, Titel usw. Das bedeutet aber nicht, dass ich für einen Appel und ein Ei arbeiten will, faul bin oder keine Motivation oder Ziele habe. Ich bin schon leistungsbreit und will entsprechend vergütet werden und die Aufgaben sollten einigermaßen herausfordernd sein. Es muss aber für mich passen, sonst kann ich das nicht auf Dauer bis zur Rente durchhalten.
Da gibt es auf der einen Seite die Kanzleien / WP-Gesellschaften, die haben zumindest noch vor ein paar Jahren den Standpunkt vertreten „dass wenn man bei denen etwas werden will, dann muss man 50 Stunden pro Woche arbeiten. 50 Stunden pro Woche sind schließlich nicht viel, da sind ja auch noch Weiterbildungen dabei“.
Für mich sind 50 Stunden pro Woche aber schon zu viel. Ich habe kein Problem Überstunden zur machen, wenn es konkret einen Anlass gibt z. B. wenn eine Selbstanzeige für einen Mandanten schnell erstellt werden muss. In einer Beratungsgesellschaft dürfte es aber eigentlich gar nicht viele Überstunden geben, da die Arbeit aus vielen einzelnen Aufträgen besteht, die auf die vielen Mitarbeiter, die ähnliches Know-how haben, aufgeteilt werden könnten. Außerdem würde auch die Möglichkeit zum Zeitausgleich bestehen. Ich habe bisher aber keine Kanzlei gefunden, wo das wirklich so gehandhabt wird. Es werden systematisch Überstunden eingefordert, Woche für Woche. Das finde ich nicht in Ordnung. Selbst wenn die Überstunden bezahlt werden, passen 50 Stunden nicht in meine Lebenssituation. Ich finde 40 Stunden konzentrierte Bildschirmarbeit sind wirklich genug. Führungskräfte usw. mögen andere Arbeitszeiten haben. Davon rede ich aber nicht. Ich rede von Senior / Experten-Stellen mit ganz überwiegend Arbeit am Bildschirm.
Ich war bisher in Kanzleien mit der Größe 10-20 Mitarbeiter beschäftigt und habe die meiste Zeit immer mehr Aufträge bekommen, als ich in meiner normalen Arbeitszeit abarbeiten konnte. Selbst als ich mehrere Jahre 45 Stunden pro Woche gearbeitet habe und so schnell gearbeitet habe, wie wenn ich auf der Flucht gewesen wäre, hat es das Problem nicht gelöst. Die Inhaber wollten immer mehr Aufträge bei mir platzieren. Da ich auf die ständigen Diskussionen und Konflikte keine Lust mehr hatte, habe ich mich auf dem Arbeitsmarkt umgesehen und arbeite jetzt bei einem großen Industrie-Mittelständler (nicht Inhaber-geführt).
Ich mache im Wesentlichen die Monatsabschlüsse und das Reporting für einen der Standorte außerdem betreue ich Steuerthemen. Jetzt habe ich aber das gegenteilige Problem: Nachdem ich mich eingearbeitet habe, merke ich, wie wenig tatsächlich zu tun ist. Ist wirklich nichts zu tun? Nein, es gibt schon Arbeit. Nur gemessen an der Anzahl der Stellen, die im Budget berücksichtigt sind, ist der Workload im Schnitt sehr gering. Zwar wollte ich ja durch den Wechsel tatsächlich auch eine Entlastung für mich erreichen. Und es ist schön, wenn man morgens ganz entspannt anfangen kann und abends pünktlich heimgehen kann. Wenn man aber die meiste Zeit (z. B. Mitten im Monat) überhaupt nichts zu tun hat, kann das aber auch auf Dauer anstrengend sein.
Ich habe natürlich die Situation vorsichtig angesprochen. Wenn man z. B. sagt, dass man dies und jenes gerne machen würde, dann heißt es: „Ja, aber der und der muss ja auch noch was zu tun haben“. Oder es heißt: „Ja hmm.., wir wollen nicht alle wichtigen Arbeiten in einer Person vereinen, sonst gibt es Probleme, wenn Sie weg sind.“ Mir wurden weitere Aufgaben z. B. für weitere Standorte in Aussicht gestellt. Allerdings bezweifle ich, dass das an der grundlegenden Struktur etwas ändern würde. Meine Auslastung beträgt vielleicht 20% im Schnitt (mal mehr mal weniger). Mein Eindruck ist auch, dass je länger die Kollegen dort dabei sind, desto weniger Aufgaben können und wollen die übernehmen. Ich finde effizientes Arbeiten aber wichtig und will mir nicht irgendwelche Marotten angewöhnen.
Was ist eure Erfahrung in diesem Berufsfeld? Gibt es wirklich nur zwei Extreme, also Kanzleien und WP-Gesellschaften die Mitarbeiter auspressen wir eine Zitrone und auf der anderen Seite „Low-Performer“-Stellen in der Industrie (sorry blöder Begriff)? Gibt es auf dem deutschen Arbeitsmarkt keine normalen, gesunden Alternativen? Wie geht ihr mit lang andauernder Überlastung bei der Arbeit um? Sagt ihr es dem Chef? Wie hat er reagiert? Wie geht ihr mit Langweile um?
Ich bin ehrlich gesagt am überlegen, ob eine Teilzeitstelle (z. B. 4-Tage-Woche) in einer Kanzlei die richtig Alternative für mich wäre. Ich habe auf der anderen Seite keine Lust auf die ständigen Konflikte mit den Kanzlei-Inhabern. Da ist die Zusammenarbeit in der Industrie sehr viel angenehmer.
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