Fachfremder Trost von einer Medizinerin
Liebe Forenschreiber/innen,
ich habe im Rahmen meines eigenen Bewerbungsfrustes hier teilweise mitgelesen und fand Eure Bewerbungserlebnisse sehr interessant und auch oft frustrierend. Ich möchte Euch insofern aufbauen, dass es nicht nur im Feld der Wirtschaftswissenschaften so zugeht, sondern auch im medizinischen Bereich (wenn man ja immer von "Ärztemangel" hört.)
Ich bin weiblich, Ende 30 und habe im Zweitstudium Medizin studiert (zuvor Ausbildung und Studium in einem komplett anderen Bereich). Ich habe nach meinem Studium in einem beliebten Ballungsraum ein halbes Jahres nach einer Stelle gesucht. Meine Erlebnisse waren oft sehr frustrierend und haben mir ein hohes Maß an Frustrationstoleranz abverlangt. Sicher lag es auch daran, dass ich für viele Arbeitgeber eine "tickende biologische Uhr" war (da Ende 30, ledig und kinderlos), aber auch daran, dass ich mir während des Studiums keine ausreichenden Kontakte für eine künftige Stelle aufbauen konnte (ich musste zur Finanzierung des Studiums viel arbeiten und hatte keine Zeit für eine Doktorarbeit während des Studiums - was in der Medizin möglich ist - und eventuell darauf aufbauende Stellenangebote und hatte leider während meines Praktischen Jahres im letzten Studienjahr keine Abteilung, die mir eine Stelle als Assistenzärztin angeboten hätte).
Ich möchte einige Erlebnisse aufführen. Dazu noch eine kurze Erläuterung: In der Medizin sind sog. "Hospitationen" gerne gesehen. D. h. , man schaut sich meist einen halben oder ganzen Tag die Abteilung an (Stationsalltag, Visiten, evtl. OP etc.). Im Idealfall laufen Hospitation und Bewerbungsgespräch am gleichen Tag, sonst muss man für jede persönliche Vorstellung häufig 2 Tage (oft zeitlich versetzt), einplanen. Die Gespräche werden meist nicht durch Personaler/innen (diese sitzen manchmal dabei, aber das ist selten, meist lernt man sie erst nach der eventuellen Zusage kennen), sondern durch Chefärzte/-Ärztinnen selbst geführt, oft sitzen noch Oberärzte/Ärztinnen und/oder Fachärzte/Ärztinnen dabei, manchmal noch andere Berufsgruppen.
Bewerbungen, auf die ich ohne Einladung zum Gespräch wenigstens eine Absage bekam, haben mich emotional wenig tangiert. Hier hatte ich - außer für das Schreiben der Bewerbung, zu 95 Prozent per Mail, keinen Zeitverlust. Bewerbungen ohne jegliche weitere Rückmeldung (meist gibt es ja noch eine automatische Eingangsbestätigung) nerven.
Am schlimmsten war es, wenn ich zum Vorstellungsgespräch (oft mit Hospitation) war und dann kam - trotz versprochenen Rückmeldetermins - nichts mehr. Ich nehme an, dass ich aufgrund meines Geschlechts und meiner christlichen Konfession in bestimmten Häusern gerne als "Quotenfrau" eingeladen wurde, obwohl gar kein wirkliches Interesse an meiner Person bestand.
Ich habe ein paarmal selbst nachgefragt. Einmal - mein Gefühl war beim Vorstellungsgespräch schon sehr gut und sie haben so getan, als ob ich gute Chancen hätte, die Stelle zu erhalten - habe ich nach Verstreichen des Rückmeldetermins seitens der Firma nachgefragt und bekam kurze Zeit später per Mail eine Absage. Sie hatten aus ihren Formblättern auch noch die falsche Vorlage ausgewählt, denn dieses Absagemuster bezog sich auf Bewerber/innen, die aufgrund mangelnder Qualifikation gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden wären.
Ein Chef versprach mir, dass sie sich wenigen Wochen melden würden, da noch Hospitationen liefen und alle gemeinsam paritätisch entscheiden würden. Ich sollte nach der Hospitation nur mal kurz Rückmeldung geben, ob ich weiter Interesse an der Stelle hätte. Am nächsten Tag schrieb ich eine Mail, dass ich weiter Interesse an der Stelle hätte. Eine Stunde später kam die Absage. Von wegen angekündigtes zeitliches Procedere und paritätisch.
Gerne wurde versucht, wenn man sich auf eine bestimmte Stelle beworben hatte, einen auf einen unbeliebten, weitab gelegenen Standort abzuschieben ("Könnten Sie sich auch vorstellen, in XX zu arbeiten?"), obwohl man sich für einen ganz anderen Standort beworben hatte. Natürlich sagt man erstmal ja und schaut sich das an. Ein dumpfes Gefühl bleibt aber (wieso schreiben sie die Stelle für Standort XY aus, um dann Bewerber nach XX zu bekommen? Weil dort kaum jemand hin will.).
Teilweise echt komische Bemerkungen. Ich hatte mich nur ganz selten auf Teilzeitstellen beworben, da diese für Berufsanfänger kaum angeboten werden und ich eigentlich voll arbeiten will. Bei einer Vollzeitstelle wurde im Bewerbungsgespräch Teilzeit angesprochen und ich war irritiert, denn das stand ja nicht zur Debatte. Als Bemerkung kam dann: "Naja, manche wollen ja Teilzeit arbeiten, um noch in ihrer Freizeit Limonade herzustellen."
Oder: Sie sind dann und dann mit der Uni fertig geworden, warum bewerben Sie sich erst jetzt? Es gäbe doch überall in diesem Bereich freie Stellen und die würden ja alle suchen (Ach ja? Davon habe ich nix mitbekommen).
"Sie haben aber viele Interessen!" (viele konnten mit meinem Erststudium einfach nicht umgehen).
"Warum haben Sie für Ihr Studium länger gebraucht, waren Sie krank?"
In einer Absage (die erst auf Nachfrage erfolgte), wurde mir mitgeteilt, man hätte schon jemand anderen angestellt, aber im Nachbarort YZ (1 Stunde Fahrt) würde eine ähnliche Abteilung noch Leute suchen. Nach Recherche wusste man auch, warum da noch gesucht wurde. Am "besten" war dann noch die Bemerkung in der Absage, es sei manchmal gut "auch außerhalb des Wunschortes Erfahrungen zu sammeln" (vielen Dank auch; Entschuldigung, dass ich meine Region, in der ich mein halbes Leben verbracht und studiert habe, mit Ende 30 nicht unbedingt verlassen möchte).
Schlimm war auch das Herauszögern von Entscheidungen. Einmal habe ich es erlebt, dass 2x vermeintlich endgültige Entscheidungstermine für die Stellenbesetzung vertagt wurden (und dies wurde natürlich auch noch verspätet mitgeteilt).
Bei einer Stelle habe ich Wochen nach dem Bewerbungsgespräch noch eine Hospitation gemacht, da die Entscheidung noch nicht abgeschlossen sei und ich an einem früheren Hospitationstermin erkrankt war. Dann wollten sie sich 2 Wochen später (also 2 Wochen nach der Hospitation) melden. Ist nie passiert. Wochen später auf der Internetseite: Männlicher Assistenzarzt eingestellt. Mit Doktortitel. Später wurde noch die Dauerausschreibung für die Stelle so geändert, dass jetzt auf einmal eine "Promotion erwünscht" sei.
Eine Stelle, die mir mündlich zugesagt wurde, sollte am besten sofort besetzt werden. Leider hörte ich dann nichts mehr. Ich nehme an, dass ein paar Tage nach mir noch geeignetere Leute beworben hatten. Ich habe dann selbst abgesagt.
Bei einer Stelle bat ich um wenige Tage Bedenkzeit aufgrund eines parallel vorliegenden Angebotes (habe ich auch so kommuniziert). Ich sollte dann den Chef zu einem festen Termin auf dem Handy anrufen, um mitzuteilen, ob ich noch Interesse hätte. Als ich anrief, tat er so, als hätte ich gar keinen Telefontermin ausgemacht und war richtig patzig. Dann sagte er, er würde mich nach dem Wochenende anrufen und ich habe nie wieder was von ihm gehört.
Diese Erlebnisse sollen nicht so verstanden werden, dass ich ja alle Stellen problemlos bekommen hätte. Die Sympathie spielt auch immer eine große Rolle und die Fachkenntnisse natürlich auch. Aber der Umgang ist das Entscheidende. Wenn man sich entwürdigt fühlt, nicht wert genug, eine Absage zu erhalten oder nur nicht hilfreiche Floskeln. Falsche Versprechungen. Man denkt, man habe genug Lebenserfahrung, um Leute ganz gut zu durchschauen (ich habe ja durch meine Vorausbildungen schon Erfahrungen mit Bewerbungssituationen und im Berufsleben) und man irrt sich ins Bodenlose. Ich kam mir als Ärztin entwürdigter vor als noch in demütigenden mündlichen Prüfungssituationen während meines Medizinstudiums.
Generell war es so, dass es etliche Fake- und Dauerausschreibungen gab, für die längst Leute feststanden. Aber das konnte man ja nicht nachweisen.
Ich weiß, dass grade Anfänger in unserer Region nicht gerne eingestellt werden, da sie genug erfahrene Bewerber haben.
Achso, auch Versuche, mit meinem Vorausbildungen Arbeit zu finden (also nicht als Ärztin) schlugen fehl. Denn ich war dafür auch nicht mehr geeignet und dann noch überqualifiziert. Die einzige Alternative zur Arzttätigkeit wäre Callcenter zum Mindestlohn gewesen (und zwar nicht in der Funktion einer Ärztin).
Ich habe schließlich noch eine gute Stelle gefunden. Allerdings war ich von dem monatelangen "Bewerbungstheater" ziemlich fertig, was mir den Berufseinstieg als Ärztin nicht unbedingt erleichtert hat.
Liebe Grüße und mehr Glück beim Bewerben
eine Medizinerin
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