Ich arbeite in meinem Umfeld von Zeit zu Zeit mit Promovierten zusammen, die in der Privatwirtschaft Fuß gefasst haben. Die meisten davon sind Wirtschaftsingenieure und Ingenieure, nur sehr wenige reine Wirtschaftswissenschaftler mit Promotion.
Auf der Erfolgsskala ist die Bandbreite sehr gut. Im gehobenen Management ist die Dr.-Quote ein wenig höher als in der unteren Mannschaft, was wohl daran liegt, dass die Promovierten im Schnitt etwas cleverer sind (die Promotion selbst muss also nicht Ursache der Karriere sein). Ebenso sehe ich aber auch eine ganze Reihe von Promovierten, die keinen einzigen Karriereschritt schaffen. Die Promotion ist also in keiner Form eine Garantie für irgend etwas.
Was ich an der Arbeit mit Promovierten sehr schätze:
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Meistens ein ausgiebiges Verständnis für logisches, strukturiertes und analytisches Denken. Wenn Du mit einem Promovierten ein Thema diskutierst, kannst Du viel mehr Struktur in das Thema bringen und musst nicht vom ersten Moment an nur über das Ergebnis berichten, ohne den Weg dahin zu diskutieren. Gute Akademiker wissen, dass ein Ergebnis nur so viel wert ist wie Datenbasis und Aufbereitungsmethodik.
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Die viel geringere Angst vor Komplexität. Diejenigen Promovierten, mit denen ich beruflich zu tun habe, haben nicht die (ansonsten oft erlebte) Abwehrreaktion, wenn ein Thema mal kompliziert und verwirrend wird.
- Die Vorliebe für Abstraktion. Mit einem Promovierten lässt sich viel leichter auch mal die "Metaebene" eines Problems betrachten, also der zugrunde liegende Mechanismus und evtl. eine Verbindung zur Theorie. Es macht Spaß, auf diese Weise Zusammenhänge herzustellen, wo manche andere keine erkennen.
Die Frage ist nun: Sind das Eigenschaften, die man erst mit der Promotion bekommt? Oder ist die Promotion nicht vielmehr eine Konsequenz daraus, dass der Promovierte diese Eigenschaften ohnehin schon hat?
"Man tut das nicht für den Beruf, man tut das der Sache wegen" sagte mir einmal ein Vorgesetzter mit Doktortitel. Wenn man die Promotion zu sehr am Beruf aufhängt, fehlt die Distanz zum Thema sowie z.T. die Glaubwürdigkeit der ganzen Sache. Man will ja nicht den Ruf bekommen, dass man die Promotion nur der Karriere wegen angestrebt hat!
Wenn ich vor diesem Hintergrund bedenke, dass die Promotion 2-4 Jahre des Lebens in Anspruch nimmt, während derer man praktische Erfahrungen sammeln, Geld verdienen (und ausgeben!), ein Netzwerk aufbauen und evtl. sogar die erste Karrierestufe zurücklegen kann, dann spricht aus meiner Sicht nichts dafür, mit dem Ziel eines Einstiegs in die Privatwirtschaft eine Promotion zu versuchen.
Das einzige, was mich an der Promotion reizen würde: Man hat es unter Umständen etwas leichter, später als Gastdozent an Universitäten oder Hochschulen den Horizont zu erweitern bzw. ein Zubrot zu verdienen. Denn für die Wissenschaft ist der Dr. in Deutschland quasi ein Muss.
Mein persönliches Fazit aus meinem Umfeld: Promovieren, wenn man an der Sache (!) Freude findet und eine Tür zur Wissenschaft offen halten will. Promovieren, wenn man jahrelanges Arbeiten an einem komplexen Thema mag und auch Frustrationen bewältigen kann. Wenn man das ganze nur als Karrierefaktor sieht: Ab in die Wirtschaft und Karriere machen. Geht auch ohne Promotion!
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