WiWi Gast schrieb am 07.10.2020:
Anderswo profiliert man sich eher damit, für viel Geld wenig arbeiten zu müssen, Deutsche geben vor, lange, harte Stunden zu buckeln – um erstens nicht als faul angesehen zu werden, lieber als Arbeitstier, besonders ausdauernd, diszipliniert, ehrgeizig, und zweitens ihr Gehalt zu rechtfertigen (deutsche Neidkultur). Selbst Gen Y, die ihren Fokus verstärkt auf WLB legt, nutzt die gewonnene freie Zeit primär zur Selbstoptimierung in jeglicher Hinsicht (oder gibt zumindest vor, sie dafür zu nutzen). Bloß nicht "nichts" tun. Bin mal gespannt, ob sich dieses Leistungsdenken mit Gen Z wandeln wird. Ich glaube nicht so recht dran.
Wo denn anderswo? Mit 35-40h Woche, 30 Urlaubstagen und ziemlich vielen Feiertagen arbeiten wir im internationalen Vergleich in Deutschland eher wenig.
Zufrieden ist man halt eben nie so richtig.
Früher hat man 6 Tage Wochen geschoben und 12h am Tag schwerste, körperliche Arbeit verrichtet. Das hat auch ewig funktioniert und wurde als gegeben hingenommen.
Selbst wenn wir irgendwann mal 20 Stunden Wochen als Regelzeit haben wird es Menschen gehen, die meckern und die 10h Woche fordern.
Der Achtstundentag wurde 1918 eingeführt. Was meinst du mit früher? Mittelalter?
Hört sich vielleicht komisch an, aber eine körperliche Arbeit lässt sich mMn länger durchhalten als eine intellektuell fordernde Aufgabe.
Ich bin vom WP über das Controlling zu einem Job als Data Scientist kommen. Jeder Jobwechsel war mit intellektuell deutlich anspruchsvolleren Arbeiten verbunden. Während 11-12 Stunden als WP gar kein Problem waren (Durchhaken, Dokumentieren, einfach das Gleiche machen wie im Vorjahr), war es im Controlling schon deutlich schwerer, sich lange zu konzentrieren. Sehr komplexe Datentabellen und Analysen. Auch immer das Wissen, dass man nicht mehr Kontrolle über alle Daten hat, weil die Datenmengen unfassbar groß waren. Jetzt in meinem aktuellen Job kommen vielleicht 3 Stunden produktive Arbeit am Tag zusammen. Mehr ist nicht möglich.
Also, eigentlich müsste ich wirklich mal morgens von 8-12 konzentriert durcharbeiten, in dem Wissen, dass ab 12h Feierabend ist. Dann wäre ich am produktivsten. Besser als jetzt aktuell, wo man morgens bisschen was macht, dann mit Kollegen quatsch, surft usw. um seine kognitiven Ressourcen zu schonen und dann nachmittags noch mal bisschen was macht. Ich wäre viel produktiver.
Aber dann würde ich einen Teilzeit-Vertrag machen müssen, nur für 4 Stunden bezahlt werden und am Ende weniger bekommen als ein Controller oder WP-Assi.
Und die von "Arbeitern" geprägten Gewerkschaften sehen halt nicht, dass Wissensarbeiter keine 8 Stunden am Stück etwas leisten können. Und mit Wissensarbeiter meine ich nicht die Buchhaltungskraft, den WP-Assi oder die Leute im Kundendienst. Sondern Data Scientists, Softwareentwickler, usw - Berufe mit extremen Abstraktionsleveln von der "Wirklichkeit".
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