WiWi Gast schrieb am 17.03.2023:
IT-Marcus schrieb am 16.03.2023:
Manche Leute wollen hier halt Propaganda betreiben, damit noch mehr junge Menschen sich im Handwerk ausbeuten lassen.
Das Internet ist voll von Arbeitgebern die rumheulen, wie dreist und abgehoben die junge Generation ist. Die sachliche Tatsache ist jedoch, dass viele Jobs und Arbeitgeber einfach nicht attraktiv sind.
Diese ganzen Kampagnen die in aller Regelmässigkeit betrieben werden um Leute ins Handwerk zu drängen , gab es auch schon in den 90ern , genau wie die Dauerlüge vom "Fachkräftemangel" : ich habe Ende der 90er meine Ausbildung gemacht (Elektroinstallateur , also "Elektriker") und damals gab es weniger Lehrstellen als Ausbildungswillige
und eine Lehrstelle im Wunschberuf zu bekommen war schon fast wie ein 6er im Lotto (viele waren froh überhaupt eine Lehrstelle zu bekommen und zig Leute wurden erstmal in irgendwelche Berufsgrundschuljahre abgeschoben etc.....abgesehen natürlich von Berufen wie Metzger , Koch , Bäcker etc., die schon zu Zeiten meines Vaters den Ruf hatten: " da kannste immer anfangen").
Damals wurde auch schon vor dem bösen "Fachkräftemangel" im Handwerk gewarnt , "im Jahr 20XX wird es weniger Schulabgänger geben" und das eine fundierte Ausbildung das einzig sichere sei und Handwerk hätte ja goldenen Boden etc. , blablabla...ein paar Jahre später kam dann erstmal die Agenda 2010 und es sind überall Zeitarbeitsfirme aus dem Boden geschossen.
Ich hatte damals auch so ein schönes Buch "Berufswahl 98" wo sämtliche Ausbildungsberufe mit den ""voraussichtlichen"" Anfangsgehältern , Arbeitszeiten , Weihnachtsgeld etc. drin standen...die Gesellen in dem Betrieb wo ich gelernt habe haben mich ausgelacht als ich denen die Zahlen genannt habe was sie doch an Geld bekommen müssten.
Vor Jahren gab es mal eine Kampagne mit Plakaten und irgendwelchen Pseudo-Ti**enbildern um Leute fürs Handwerk zu begeistern (kann man noch googeln) wo man sich ernsthaft fragt welche jungen Leute davon angesprochen werden sollen ?!
Ja , es gibt Ausnahmen : Firmen die sich auf spezielle Bereiche spezialisiert haben und/oder Kleinstbetriebe die sich meistens in eher ländlichen Regionen einen festen (überwiegend privaten) Kundenstamm erarbeitet haben wo man z.B. permanent Kundendienst fährt , Trinkgeld bekommt und nicht monatelang auf einer Grossbaustelle verreckt.
Ich bin mittlerweile ü40 und vor ca. 16 Jahren vom Handwerk in die Industrie gewechselt (wahrscheinlich die zweibeste Entscheidung meines Lebens), habe dafür auch ca. 6 Monate über Zeitarbeit in kauf genommen und hatte erstmal sogar noch etwas weniger Geld , aber eine 35 Stunden Woche in beheizten Räumen , fast immer pünktlich Feierabend bzw. Freitags ab 14 Uhr Wochenende etc. und vor allem Dingen nicht mehr dieses Gefühl das ich
sonst immer schon Sonntags um 16-17 Uhr hatte : "morgen geht diese ganze Sch****e wieder los"....irgendwann war ich es einfach leid nur noch für andere zu schuften bzw. dem Chef und seiner Familie die x-te Immobilie , seine 3-5 Urlaubsreisen pro Jahr etc. zu erwirtschaften und hatte mir generell ernsthafte Sorgen um meine private bzw. finanzielle Zukunft gemacht.
Ich kann jungen Leuten im grossen und ganzen nur davon abraten ins Handwerk zu gehen (Ausnahme vielleicht wenn man von Anfang an die Möglichkeit hat , später einen Betrieb weiter zu führen oder wenn man sowieso noch danach studieren möchte) , um auf die
Ausgangsfrage zurück zu kommen , warum nicht alle Handwerker werden :
Meine Erfahrungen aus dem Handwerk bzw. mehreren Betrieben :
- absolut miserable Bezahlung (in anderen Branchen , wie z.B. Industrie , Öltankreinigung etc. haben selbst ungelernte mehr Geld bekommen)Tariflohn...was ist das ??
- ständig bzw. permanent Überstunden und Samstagsarbeit
- je nach Beruf bzw. Bereich hoher körperlicher Aufwand und Schmutzintensiv (da ist nichts mit direkt nach der Arbeit ins Gym oder zur Freundin etc.)
- oftmals sehr rauer Umgangston und kaltes Betriebsklima
- Betriebsräte sind in den meisten Betrieben ein Fremdwort
- (zumindest in der Vergangenheit) teils sehr "ruppiger" Umgang mit den Azubis (und so etwas spricht sich in der heutigen Zeit rum)...als Lehrling ist man irgendwie immer der gear***te , in einigen Betrieben war es wohl auch üblich das Lehrlinge Samstags umsonst antanzen mussten
- Teils hohe Durchfallquoten und generell scheint die Ausbildung immer anspruchsvoller zu werden , so einfach besteht man die Gesellenprüfung nicht (umso mehr ist Punkt 1 wieder ein Schlag ins Gesicht)
- Weihnachtsgeld wurde (wenn) frei nach Schnauze bezahlt und/oder wurde mehr "Dankeschön-Geld" genannt , je nachdem wer sich beim Chef am "beliebtesten" gemacht hat oder wer sich schön brav trotz Grippe zur Arbeit geschleppt hat bzw. nicht mehr als 5 Tage im Jahr krank war
- Die Meisterprüfung hat wenn man den Verdienstausfall , Schulzeiten etc. berücksichtigt in vielen Fällen auch nur (finanziell) Sinn gemacht , wenn man vor hat sich selbstständig zu machen oder einen Betrieb zu übernehmen (zumindest war der Unterschied früher im Angestelltenverhältniss nicht so gross zu den Gesellengehältern...#Als Meister zum Gesellengehalt eingestellt (bzw. für 250 Euro mehr")
Vor allem die Korrelation zwischen den ersten beiden Punkten spricht Bände , denn es war im Prinzip immer Arbeit bis zum erbrechen da...irgendetwas stimmt da vorne und hinten
nicht bei Angebotserstellungen , Berechnung der benötigten Arbeitsstunden , Preise etc.
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