WiWi Gast schrieb am 11.02.2023:
Völlig klar, rechne die Pausenzeiten als Freizeit an. Was für ein Schwachsinn.
Und bei U-Beginn 7:30 sehe ich die Grundschullehrer bei uns zwischen 7:00 und 7:10 im Gebäude.
Effektiv kommst du bei 25-28 Unterrichtsstunden nicht unter 30 Zeitstunden rein für den Unterricht plus vorher da, nachher da und Pausen dazwischen weg.
Wenn ich im Konzern ein Meeting 08:30 habe und dafür 7:43 im Unternehmen antanze, dann zählt bei mir die Quatschzeit zwischen 7:43 und 8:30 zu 100% als Arbeitszeit. Wenn ich 9:53-10:14 Klopause mache, ist das auch Arbeitszeit. Keine Frage, bei 35 Bezahlstunden im Konzern kommen real keine 20 echten Arbeitsstunden zusammen. Never ever.
Ist auch meine Erfahrung. In meinem alten Job kam man in den Betrieb, checkte ein und dann begann eine 30-minütige Übergabe (entspannt am Kaffeetisch). Genauso am Dienstende, wieder 30-minütige Übergabe. Blieben also noch 6,5 Stunden Arbeitszeit. Dazu gehörten regelmäßige Zigarettenpausen und Phasen mit abwechselnder Arbeitsintensität (von entspannt bis stressig). Danach war Schichtende (7,5 Zeitstunden, davon vielleicht 5,5 Stunden effektive Arbeitszeit) und das bedeutete wirklich, dass man danach die Arbeit hinter sich lassen konnte.
Als Lehrer sieht mein durchschnittlicher Arbeitstag deutlich anders aus. Um halb 8 beginnt bei uns der Unterricht. Ich bin bereits um 7:00 Uhr anwesend, um mich auf den Unterricht einzustellen und Vorbereitungen (Kopien anfertigen, Materialien vorbereiten, gelegentlich Frühaufsicht etc.) durchzuführen. Dann geht es im 45-Minuten-Takt Schlag auf Schlag. Immer wird man vor Klassen voll gefordert, da bleibt kaum mal Zeit um durchzuatmen, insbesondere dann, wenn Klassen pädagogisch anspruchsvoll sind. Man muss 100% präsent sein, alles im Blick behalten und daneben den Unterrichtsstoff didaktisch angemessen und sinnvoll darbieten. Schwächere Schüler unterstützen, unruhige Schüler zur Ruhe bringen, Störer im Zaun halten, Konflikte klären und als Klassenlehrer noch allerlei Organisation erledigen (Geld einsammeln, Projekte planen, Anwesenheiten/Entschuldigungen verwalten etc.).
Pausen gibt es schon. Diese sind aber in der Regel keine Erholungszeit, da man Raumwechsel und Vorbereitung für den neuen Unterricht sowie Schülerfragen/Organisation bewältigen muss. Die große Pause wird häufig durch Aufsichten gefüllt oder wiederum zur Vorbereitung genutzt. Gelegentlich hat man Hohlstunden dazwischen, diese können aber jederzeit durch Vertretungen gefressen werden, so dass man sich nie sicher sein kann, ob und wie man diese nutzen kann.
Sofern ich einen "normalen" Arbeitstag mit 5-6 Unterrichtsstunden hinter mir habe, bin ich schon ziemlich erschöpft und das fühlt sich auch wie ein normaler Arbeitstag an. Die Arbeit ist aber dann - wie hier schon oft dargestellt wurde - eben noch nicht beendet, sondern verfolgt einen nach Hause. Dort wird man weiterhin von Schülern/Eltern/Kollegen kontaktiert, klärt Dinge, beantwortet Fragen etc. und bereitet Unterricht nach oder vor, korrigiert Arbeiten etc.
Wenn man sich nicht selbst eine Deadline setzt (das reicht jetzt, das ist gründlich genug, jetzt beantworte ich keine Mail mehr, öffne mein Postfach nicht mehr usf.), kann man quasi ohne Unterbrechung bei der Arbeit sein in irgendeiner Form. Die Folge ist, dass man immer mit einem latenten Defizitgefühl leben muss, schließlich hätte dieses Arbeitsblatt noch gründlicher und jener Unterricht noch raffinierter hätte konzipiert werden können.
Die meisten Lehrkräfte sind ja durchaus gewissenhafte Menschen, die gerne gute Arbeit leisten. Ausnahmen gibt es in jedem Beruf, die allgemeine Arbeitsmentalität in Deutschland ist jedoch eher von Ehrgeiz und Pflichtbewusstsein geprägt und nicht vom Gegenteil. Der Lehrerberuf bildet da - allen Vorurteilen zum Trotz - keine Ausnahme.
Kurzum: Ich verdiene zwar besser als früher, muss dafür aber auch mehr leisten (zeitlich und vom persönlichen Einsatz her). Ist halt nicht mit einer konventionellen Schichtarbeit zu vergleichen. Die Qualifikation spielt selbstverständlich auch eine Rolle. Wenn ich nach 3 Jahren Ausbildung nur unwesentlich weniger verdiene als eine studierte Lehrkraft, stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht mehr.
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